Stefan Dabringhaus: Abschied von Angesicht zu Angesicht

einbalsamierung

Sich von Angesicht zu Angesicht verabschieden. Oft wollen Angehörige ihre nahestehenden Verstorbenen noch einmal vor der Beerdigung sehen. Tatsächlich kann die Aufbahrung des Verstorbenen Hinterbliebenen dabei helfen, die Trauer leichter zu verarbeiten. Angehörige und Freunde erhalten so die Chance sich von dem Verstorbenen „in Ruhe“ zu verabschieden. Nach schwerer Krankheit, tödlichen Verkehrsunfällen oder Gewaltverbrechen sind die Toten aber oftmals entstellt. Der Thanatopraktiker, ein speziell ausgebildeter Bestatter, sorgt mithilfe der Einbalsamierung dafür, dass der Abschied in einem würdevollen Rahmen stattfinden kann. Er balsamiert die Toten und präpariert sie für den Abschied. In Deutschland gibt es etwa 150 Thanopraktiker.

Wir haben mit dem Bestattungsunternehmer Stefan Dabringhaus aus Lübeck gesprochen. Er war 1995 in Schleswig-Holstein Pionier auf dem Gebiet der Einbalsamierung und hat der Redaktion einen spannenden Einblick in seine tägliche Arbeit gewährt.

Redaktion: Herr Dabringhaus, was fasziniert Sie an der Bestattungskosmetik?

Stefan Dabringhaus: Erstmal möchte ich mich ganz klar von dem Begriff „Bestattungskosmetik“ distanzieren und dem, was in den Vereinigten Staaten vorrangig gemacht wird. Da wird angepinselt und geairbrushed, am Ende sehen die Toten 30-40 Jahre jünger aus als sie zum Todeszeitpunkt waren. Das ist nicht mein Ziel. Es geht nicht darum, den Tod zu schönen, er soll begreiflich bleiben. Aber es soll eben auch möglich sein, sich in Würde zu verabschieden. Wenn jemand stark entstellt ist, durch eine Krankheit, einen Unfall oder eine Gewalttat, können wir mittels Einbalsamierung den Körper in einen Zustand versetzen, der den Lebenden ähnlich ist. Und ihn so präsentieren, dass die Familie sich verabschieden kann.

Vergleichen Sie es mit einem Theaterbesuch: Sie gehen heute Abend aus, in die Oper, ins Theater, ins Kino mit ihrem Partner und Sie wollen schön sein. Und wir sehen diesen letzten Auftritt, die Bestattung auch als solch ein Ereignis. auch wenn man da selbst nicht gerne hingehen mag, weder als Hauptakteur noch als Trauergast. so ist es doch ein wichtiger Punkt im Leben. wir wollen nicht, dass Sie mit offenem Mund, mit offenen Augen, mit Schläuchen von der Intensivpflege in dem Sarg verschwinden. Sie sollen so eingebettet werden, wie man das erwartet.

Redaktion: Was genau machen Sie bei der sogenannten „Einbalsamierung“?

Stefan Dabringhaus: Die Einbalsamierung beinhaltet eine vorübergehende Konservierung des Körpers. Technisch kann man sich das wie ein Dialyseverfahren vorstellen. Mit einer Pumpe wird eine Formaldehyflüssigkeit in den Körper injiziert. Diese durchspült den ganzen Körper und das arterielle System. Die Flüssigkeit reinigt den Körper, desinfiziert und macht die Haut präsentabel. Der Prozess selbst dauert mehrere Stunden. Währenddessen wird der Körper mit einer Massagecreme eingecremt. So verteilt sich die Flüssigkeit gleichmäßig im Körper und die Haut bleibt zugleich geschmeidig. Auf diese Weise bleibt der Körper bis zu mehrere Wochen und Monate haltbar. Wir haben schon mal einen afrikanischen Staatspräsidenten einbalsamiert, der in Deutschland bei einem Eingriff ums Leben kam. Er konnte dank Einbalsamierung zurück in sein Heimatland überführt werden. Anschließend konnte er im Rahmen von traditionellen Zeremonien problemlos drei Monate lang durch den Busch getragen werden.

Gerade wenn ein Leichnam ins Ausland überführt wird, ist die Einbalsamierung Vorschrift. Vor allem, wenn der Tote an Viren erkrankt ist, die im Ausland nicht bekannt sind. Es gibt aber auch schwere Krankheiten wie Hepatitis, bei denen wir wegen der Ansteckungsgefahr nicht einbalsamieren dürfen.

Redaktion: Nehmen viele Kunden Ihres Bestattungsunternehmens die Einbalsamierung in Anspruch?

Stefan Dabringhaus: Ja, definitiv. Etwa 60 – 70 Prozent der Kunden wollen den Verstorbenen noch vor der Beisetzung sehen. Das stellt sich meist während des Beratungsgespräches heraus. Konfrontation ist der größte Prozess in der Trauerbewältigung, um loslassen zu können. Zudem ist es heutzutage aufgrund von verschiedenen Wohnorten, wichtigen Meetings oder Urlauben nicht immer möglich, den Verstorbenen unmittelbar beizusetzen. Bis die Beerdigung stattfindet, können zwei Wochen vergehen. Das macht eine „Hygienische Grundversorgung“ von einem Thanatopraktiker notwendig. Häufig wirken sich auch medizinische Behandlungen postnatal verheerend auf das Erscheinungsbild aus. Auch hier kann eine Einbalsamierung Abhilfe schaffen.

Mir persönlich ist es wichtig die Toten würdig an die Angehörigen zu übergeben. Da können Sarg und die Blumen noch so pompös sein. Es ist und bleibt ein Stück Holz. Von Angesicht zu Angesicht ist das etwas anderes.

Redaktion: In welchen Fällen nehmen Sie kosmetische Korrekturen vor?

Stefan Dabringhaus: Kosmetik kommt zum Einsatz, wenn sie erwünscht ist oder wirklich erforderlich ist. Wenn die Familie beispielsweise weiß, dass ein Unfall zum Tode geführt hat, sind Schürfwunden zumutbar. Nicht jedoch, wenn Teile des Gesichts fehlen. Oder wenn durch Unachtsamkeit im Krankenhaus Verfärbungen im Gesicht entstanden sind. Das korrigieren wir und stellen den Ursprungszustand bestmöglich wieder her. Frauen legen Wert darauf, dass die eigene Kosmetik angewandt wird und geben teilweise das Schminkzeug mit. Allerdings unterscheidet sich die Kosmetik für Lebende von der für Tote. Kosmetik für Verstorbene ist fetthaltiger und passt sich somit der Hautstruktur besser an.

Redaktion: Wird das letzte Gewand der Verstorbenen im letzten Willen gewählt oder von Angehörigen ausgesucht?

Stefan Dabringhaus: In den meisten Fällen entscheidet die Familie darüber. Meistens ist es etwas festlicheres, privates Gewand: Kleider oder ganz klassisch der Anzug. Das muss nicht unbedingt schwarz sein, oftmals auch die Lieblingssachen des Verstorbenen. Ich habe auch schon jemandem einen Neoprenanzug angezogen. Das ist zwar umwelttechnisch überhaupt nicht zu vertreten, darauf achten wir normal schon. Aber Tauchen war nun mal die Leidenschaft des Verstorbenen. Auch in voller Motorrad-Montur, im Blaumann oder sogar in Jogginghose mit Chips- und Bierflecken wurden bei uns auf Wunsch schon Tote beigesetzt.

Redaktion: Was müssen Sie bei der Einbalsamierung von Verstorbenen rechtlich beachten?

Stefan Dabringhaus: Selbstverständlich muss die Familie ein offizielles Einverständnis dazu geben, dass ein Eingriff am Verstorbenen vorgenommen wird. Meine Arbeit kann erst dann beginnen, wenn ein Totenschein ausgestellt wurde. Außerdem muss der Verstorbene eines natürlichen Todes gestorben sein. Ist dies nicht der Fall, bedarf es einer Freigabe von der Staatsanwaltschaft. Wichtig ist natürlich auch die Information, ob es gesundheitlich am Körper des Verstorbenen etwas zu bedenken gibt. Gerade in der aktuellen Situation der Corona-Pandemie müssen entsprechende Sicherheits- und Hygienevorkehrungen getroffen werden. Hier muss der Körper beispielsweise in einem Bodybag konserviert werden.

Redaktion: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Herr Dabringhaus.

Stefan Dabringhaus: Jederzeit, sehr gerne.

Die Arbeit des Thanatopraktikers ist nicht mit der ägyptischen Einbalsamierung zu verwechseln. Wer mehr über die den Totenkult der Mumifizierung im alten Ägypten erfahren möchte, wird hier fündig. Und einen Einblick in die Heraus- und Anforderungen der Überführung eines Toten ins oder aus dem Ausland, bekommen Sie hier.

Wer sich darüber hinaus für die Arbeit eines Bestatters interessiert, erfährt hier von Azubi Tim Eggers, was in der Lehre gefragt ist und wie der 18-Jährige zu dem Berufswunsch gekommen ist.

Titelbild: © Stefan Dabringhaus

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