„Female Empowerment“ ist das Schlagwort der Stunde hinsichtlich Finanzen und Versicherungen. Und tatsächlich scheint ein Umbruch stattzufinden. Sobald die Familienplanung beginnt, neigen Frauen jedoch offenbar noch immer dazu, zurückzustecken. Das kann ins Auge gehen. Denn der Ehemann ist einerseits keine Risikoabsicherung und andererseits stellt sich die Frage nach dem Ernstfall. Auch alleine muss frau zurechtkommen. Wir sprachen hierzu mit Vorsorgeexpertinnen aus zwei Generationen: Helma Sick, Frau & Geld, und Jennifer Brockerhoff.
Zeitsprung zur Emanzipation
Frauen, die nicht Autofahren oder ohne ihren Mann das Haus verlassen dürfen. Vorstellungen, die für westliche Standards weit entfernt klingen. Wer finanzielle Emanzipation jedoch als selbstverständlich erachtet, der sei erinnert, dass das auch in Deutschland eine verheiratete Frau erst nach 1969 als erwerbsfähig galt. Laut Focus war es Frauen bis 1962 nicht erlaubt, ohne Zustimmung des Mannes ein Bankkonto zu eröffnen. Bis 1958 waren dem Gatten das alleinige Bestimmungsrecht über Frau und Kind vorbehalten. Ebenso wie die Bestimmung über deren Lohn, hätte sie gearbeitet. Sollte sie dies nicht mehr, war selbstverständlich die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnis kein Problem. Offiziell im BGB geändert wurde die Regelung erst 1977. Inzwischen arbeiten Frauen erfolgreich und selbstbestimmt im Finanzsektor. Zwei, die ihre Leidenschaft für die Branche entdeckt haben, sind Jennifer Brockerhoff und Helma Sick.
Brockerhoff stieg vor mehr als 20 Jahren über eine Bankausbildung in die Branche ein. Der Grund ihrer Berufswahl: Neugierde auf das Finanzsystem. Inzwischen ist sie Finanzcoach mit Fokus auf dem Thema Vorsorge. „So kann ich einerseits Wissen vermitteln und andererseits die passenden Altersvorsorgebausteine gemeinsam mit meinen Kundinnen identifizieren.“ Einen ganz anderen Beweggrund, um Frauen in ihren Finanzen zu unterstützen, fand Helma Sick. Sie hatte bereits früh erfahren, wie unglücklich manche Frauen in ihrer Ehe sind. Damals wie heute eine ausweglose Situation ohne Ausbildung und Geld. Als kaufmännische Geschäftsführerin im Münchner Frauenhaus (für misshandelte Frauen und Kinder) erlebte sie zudem mit, wie groß sie Not von Frauen ist, wenn sie sich nicht aus eigener Kraft aus familiären Missständen befreien können. Erfahrungen, die Sick 1987 zur Firmengründung bewogen: „Mich begeistert nicht das Thema Vorsorge, sondern finanzielle Unabhängigkeit von Frauen. Dazu braucht es Geld und Absicherung.“
Die Frau als Zielgruppe
Wie wichtig Frauen für die Wirtschaft sind, bestätigt die Geschichte immer wieder. Seien es die Trümmerfrauen 1945 oder der isländische Landesstreik 1975, in dem 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung die Wirtschaft für einen Tag durch Arbeitsniederlegung zum Erliegen brachten.
Ebenso tragen berufstätige Frauen heutzutage nicht unwesentlich zum Haushaltseinkommen bei. Ein positiver Nebeneffekt sei laut Brockerhoff nicht nur das gestärkte Selbstbewusstsein der Frau, sondern auch die psychische Entlastung der Männer, Hauptverdiener sein zu müssen. Eine Entwicklung, die sie ebenfalls beobachtet:
„In den letzten Jahren sind viele neue Kanäle auf Social Media entstanden, die genau auf diese Besonderheit eingehen. Somit verlieren Frauen die Scheu vor Finanzthemen und eignen sich im Vorfeld bereits Basiswissen an.“
Dass sich Frauen stärker mit dem Thema Vorsorge beschäftigen, bestätigt auch eine Studie von CLARK mit dem Forschungsinstitut YouGov. Die Ergebnisse zeigen, dass das Wissen über Finanzen, Vorsorge und Versicherungen in der weiblichen Bevölkerung innerhalb des letzten Jahres stark angestiegen ist. Während 2020 nur jede dritte Frau ihre Kenntnisse über besagte Themen mit gut bis sehr gut bewertete (30 Prozent), können dies heute bereits 41 Prozent über ihre Finanzen und 38 Prozent über ihre Versicherungen behaupten.
Das neue Bewusstsein der Frauen bereitet ihr Freude in der Beratung. Frauen brauchen keine anderen Produkte, sondern möchten mit einer Beraterin oder einem Berater sprechen, welche sich in ihre persönliche Situation hineinversetzen können und die unterschiedlichen Erwerbsbiografien kennen. Diese unterscheiden sich laut Helma Sick deutlich von denen der Männer. Während Männer trotz Kindern im Beruf bleiben, steigen Frauen oft über Jahre aus, arbeiten im Minijob oder in Teilzeit. Alles zu Lasten ihrer Rente und Vorsorge. Für Sick eine positive Herausforderung:
„Es ist interessant, die unterschiedlichen Lebensentwürfe von Frauen in die Beratung einzubeziehen und ein individuelles und passendes Konzept zu erarbeiten.“
Klientel von 20 bis 80 Jahren
Prägnant ist vor allem, inwieweit sich die Altersklasse der Zielgruppe in den letzten Jahren verschoben hat. Einer Studie des BMFSFJ zufolge stieg bei Frauen noch im Jahr 2016 das Bewusstsein für Absicherung erst ab einem Alter von 50 Jahren sprunghaft an. Die Ursache sei ein Wandel der Lebensphase, wie etwa das „Empty-nest“, sobald die Kinder das Haus verlassen haben. Auch Helma Sick kennt den Trend: „Zu Beginn meiner Tätigkeit kamen Frauen über 40, oft über 50. Meist auch dann, wenn ein Schicksalsschlag sie ereilt hatte: schwere Krankheit oder Tod des Partners, Trennung oder eine Scheidung.“
Bei Männern hingegen ist die Sensibilität für die eigene Alterssicherung in jungen Jahren geringer als bei Frauen, steigt im Alter ab 30 Jahren allerdings an und ist dann in allen Altersgruppen und Lebensphasen deutlich höher als bei Frauen. Partnerschaftlich hat das Auswirkungen und sorgt für ein Ungleichgewicht. Inzwischen kommen zu Sick allerdings Frauen bereits ab Ende 20. Also wesentlich früher. „Unser Klientel besteht aus Frauen von Ende 20 bis 80“, so die Finanzexpertin. Auch Jennifer Brockerhoff berät Frauen jeden Alters. Was auffällt: Die meisten sind berufstätig und stehen vor der Familienplanung oder haben bereits Familie.
Baby-Lücke in der Vorsorge
Den Expertinnen zufolge wird also auch das weibliche Klientel jünger. Und ist besser informiert, wie Brockerhoff bestätigt:
„Viele junge Frauen kommen in die Beratung mit klaren Vorstellungen wie die Altersvorsorge aufgebaut werden könnte und mit dem Bewusstsein, dass sie selber vorsorgen müssen. Somit sind junge Frauen, die zu mir in die Beratung kommen finanziell deutlich emanzipierter als vor 15 Jahren.“
Die Herausforderung scheint allerdings noch immer eine traditionelle Denkweise zu sein. Sobald die Familienplanung beginnt, neigen Frauen laut Brockerhoff noch immer dazu, finanziell plötzlich zurückzustecken. Und das, obwohl genau das Gegenteil richtig wäre.
„Kinderbetreuung, die alltäglichen Hausarbeiten sowie die Vielzahl an sozialen Berufen die häufig von Frauen ausgeübt werden, halten dieses System, in dem wir leben, aufrecht“, erläutert sie. Helma Sick kennt das Phänomen: „Es ist leider immer noch so, dass Männer sich lieber mit Geldanlagen und Vorsorge befassen als Frauen. Deshalb sind es auch öfter sie, die in Familien die Gelddinge regeln.“ Das ändere sich allerdings, wenn die Frau erwerbstätig ist und zum Familieneinkommen beiträgt. In diesem Fall möchten sie zunehmend gemeinsam mit dem Partner bestimmen, wie Geld angelegt und wie vorgesorgt wird.
Der Schlüssel: Unabhängigkeit
„Es gehört zur Würde eines Menschen, nicht abhängig zu sein vom Fortbestand einer Ehe oder Lebensgemeinschaft.“
Damit setzt Helma Sick ein klares Statement. Frauen sind für die eigene Vorsorge verantwortlich. Dass das immer mehr Geschlechtsgenossinen begreifen, freut die Finanzexpertinnen. Jennifer Brockerhoff appelliert daran, weiter an Fortschritt und Aufklärung festzuhalten: „Meine Empfehlung ist es, die Vielzahl von Informationsquellen wie Podcasts, Online-Seminare oder Social Media Kanäle zu nutzen, um sich Basiswissen anzueignen und die qualifizierte Beratung, beziehungsweise Finanzcoachings von spezialisierten Beraterinnen und Beratern, in Anspruch zu nehmen, um gute und langfristige Finanzentscheidungen zu treffen!“
Titel- und Beitragsbilder: © Jennifer Brockerhoff, Helma Sick/Frau & Geld