Nina Schlesener: „Ich muss an und über meine Grenzen gehen”

Nina Schlesener
Nina Schlesener

Dort, wo andere an ihre körperlichen wie auch mentalen Grenzen gehen, befindet sie sich in ihrer Komfortzone: Bergführerin Nina Schlesener. Als ehemals jüngste Bergführerin lotst sie ihre Kunden seither durch anspruchsvolles Gelände. Wir haben sie zu Liebe und Risiko befragt, die und das der Job mit sich bringt.

Redaktion: Was waren Deine Beweggründe, Bergführerin zu werden?

Nina Schlesener: Meine Eltern hatten bei uns in Berchtesgaden bis letztes Jahr eine Berghütte. Somit war ich seit meinem dritten Lebensjahr immer in den Bergen. Die vorbeikommenden Bergführer haben mich schon damals fasziniert. Für mich als Kind, das sich auf der Hütte langweilt, waren sie der Inbegriff von Freiheit. Der Beruf des Bergführers war für mich eine andere, unerreichbare Welt. Jahre später mache ich nun das Gleiche.

Redaktion: Wann hat Deine Karriere als Bergführerin begonnen?

Nina Schlesener: Ich bekam die Zulassung zur Bergführerin mit 27. Als damals jüngste Bergführerin. Beworben hatte ich mich bereits mit 22. Da ich hier noch etwas zu jung war für die Zulassung, habe ich mich zwei, drei jähre später, mit 25 wieder beworben.

Nina Schlesener
Bergführerin Nina Schlesener
Redaktion: Demnach gibt es eine Altersuntergrenze, um Bergführer zu werden?

Nina Schlesener: Es ist erforderlich, voll ausgebildeter und erfahrener Alpinist zu sein. Mit 22 Jahren bringt man in der Regel weder das erforderliche Risikomanagement, noch den Erfahrungspool mit. Zudem ist eine gewisse Anzahl an Touren vorzuweisen. Auch dieses Repertoire war mit 25 Jahren größer als mit 22.

Redaktion: Was genau muss ein Alpinist vorweisen, um Bergführer zu werden?

Nina Schlesener: Verschiedenstes. Beispielsweise zehn alpine Klettertouren über eine Länge von 700 Metern mit einem gewissen Schwierigkeitsgrad. Ebenso 500 und 300 Meter. Eisklettern ist erforderlich, außerdem Skitouren und Sportklettertouren in einem gewissen Schwierigkeitsgrad. Der Tourenbericht muss mindestens drei Jahre alt sein. Diese Fülle zu sammeln dauert. Entsprechend ist man ohnehin etwas älter, bis man allen Anforderungen gerecht wird.

Redaktion: Warst Du denn von Anfang an hauptberuflich Bergführerin?

Nina Schlesener: Inzwischen ja. Zunächst, nach dem Abitur, habe ich allerdings noch Tourismus, Marketing und Sportwissenschaften in Salzburg studiert. Hier sind das Bergsteigen, Klettern und Hochtouren Teil des Studiums. Währenddessen war mir schon klar, dass ich anschließend beruflich in den Bereich Bergführung gehen möchte.

Redaktion: Und welche Eigenschaften machen einen guten Bergführer aus?

Nina Schlesinger: Ein Bergführer sollte ein Menschenfreund sein. Empathie ist wichtig und die Freude daran, mit Menschen zusammenzuarbeiten und ihnen etwas zu lehren. Zudem ist man selbst natürlich als Führender der Chef. Ein hierarchisches Denken ist aber fehl am Platz.

Es muss ein Erlebnis auf Augenhöhe sein, damit der Kunde eine gute Zeit auf dem Berg hat.

Auch nachhaltige Werte und Naturverbundenheit sind wichtig. Und die Fähigkeit das auch weiterzugeben.

Redaktion: Ist jeder Bergführer Mitglied in einem Verband?

Nina Schlesener: Ja, jeder Bergführer ist in einem Bergführerverband. Das ist vor allem aufgrund der Versicherung ein Muss. Rechtsschutz-, Haftpflicht und Unfallversicherung laufen über den Verband. Dadurch sind wir mit unserem risikobehafteten Bereich ausreichend zu guten Konditionen abgesichert. Finanziell gesehen wäre das ansonsten ein unmöglicher Aufwand für uns.

Redaktion: Wie sind die Verbände organisiert?

Nina Schlesener: Es gibt einen Dachverband, den VDBS, Verband der Deutschen Berg- und Skiführer. Dieser untersteht wiederum der internationalen Vereinigung der Bergführerverbände (IVBV). Für uns ist das nur von Vorteil. Anfragen oder technische Erneuerungen, alles wird auf aktuellem Stand kommuniziert. Um aktives Mitglied bleiben zu dürfen, ist alle zwei Jahre eine Fortbildung verpflichtend.

Hier werden beispielsweise neue Sicherungstechniken oder Materialkunde geschult. Im Winter beim Eisklettern oder auf Skitour und im Sommer beim Klettern oder im alpinen Hochgebirge. Meine persönliche Passion ist das Klettern. Der Wintersport ist dagegen, aufgrund dessen, dass ich ihn seit Kindestagen betreibe, eher das Standardprogramm.

Redaktion: Inwiefern gehst Du denn noch an Deine Limits?

Nina Schlesener: Ich gehe immer an meine Limits, um gewisse Grenzen auszutesten. Privat ist es wichtig, diese psychisch wie physisch zu trainieren, damit ich auf Touren mit Gästen einen deutlichen Vorsprung habe.

Ich brauche eine große Belastbarkeitsreserve. Wir sind in einem schwierigen Gelände mit fremden Menschen unterwegs. Kennen nicht deren Grenzen und Komfortzonen. Wir als Bergführer müssen daher zu jeder Zeit die volle Kontrolle behalten.

Ich differenziere allerdings schon. An meine körperlichen Grenzen gehe ich, bei objektiver Gefahr sieht es anders aus. In meiner Freizeit bin ich durchaus darauf bedacht, in der Auswahl der Touren das Risiko so gering wie möglich zu halten und stattdessen an den körperlichen und mentalen Grenzen zu arbeiten.

Redaktion: Besteht demnach das größte Risiko darin, den Kunden nie ganz einschätzen zu können?

Nina Schlesener: In der Regel stößt der Gast zu 80 Prozent an seine Grenzen. Das ist nur logisch. Sie nehmen sich ja einen Bergführer, weil sie nicht in der Lage sind, diese Tour selbstständig zu gehen. Die Knackpunkte sind oft die Länge der Tour oder deren Höhenmeter. Über mehrere Stunden im absturzgefährdeten Gelände zu sein ist beispielsweise schon mental sehr ermüdend. Es kommt auch vor, dass man der gleichwertige Kletterpartner ist. Aber in der Regel gleichen wir ein Defizit aus.

Wie genau die Gäste Nina Schlesener als ihre Bergführerin finden und wie eine Tour mit ihr abläuft, erfahren Interessierte in Teil zwei des Interviews.

Titelbild: © Nina Schlesener