Solvency II: Mögliche Veränderungen ab Juni

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Seit 2016 besteht die europäische Richtlinie Solvency II. 2019 hat die Europäische Kommission den Startschuss für eine mögliche Überarbeitung gegeben. Im Sommer erfolgt der nächste Schritt.

Solvency II im Überblick

Ein kurzer Rückblick vorweg: Bei Solvency II handelt es sich um ein europäisches Aufsichtsregime, das im Januar 2016 in Kraft getreten ist. Die Richtlinie sollte weiterentwickelte Solvabilitätsanforderungen für Versicherer auf Basis einer ganzheitlichen Risikobetrachtung einführen. Der Kerngedanke dahinter war, ein europaweit gleichermaßen geltendes Regelwerk zu schaffen, das Risiken frühzeitig sichtbar machen und Unternehmen eine angemessene Vorsorge abverlangen sollte.

Dabei steht Solvency II auf drei Säulen.

1. Säule: Kapitalanforderungen

Solvency II legt fest, dass Versicherer über genug Eigenkapital verfügen müssen, um auch statistisch unwahrscheinlichste Ereignisse überstehen können. Darunter fallen etwa Großschäden durch Naturkatastrophen oder extreme Verwerfungen an den globalen Aktien- und Anleihemärkten. Wie liquide die Versicherer sein müssen, hängt zum Beispiel von den Verpflichtungen und Risiken ab, die das Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell oder eine Kapitalanlagestrategie eingeht. Die wesentlichen Sollgrößen für das Eigenkapital sind die Solvenzkapitalanforderung (SCR) sowie die Mindestkapitalanforderung (MCR), die jeweils über eigene Formeln berechnet werden.

2. Säule: Governance und Risikomanagement

Mittels der zweiten Säule schafft Solvency II sowohl Grundsätze und Methoden zur Aufsicht als auch die qualitativen Anforderungen an die Ausübung der Versicherertätigkeit. Außerdem legt sie fest, dass Versicherer gegenüber der Versicherungsaufsicht die Kompetenz ihres Führungspersonals sowie die Sicherheit ihres Risk Managements offenlegen müssen. Weiterhin gilt, dass Unternehmen nur in Vermögenswerte investieren dürfen, deren Risiken sie durchschauen und steuern können.

3. Säule: Berichtspflichten

Und zuletzt legt Solvency II neue Richtlinien hinsichtlich Marktdisziplin, Transparenz, Meldewesen und Veröffentlichungspflichten fest. Regelmäßige detaillierte Informationen können der Aufsichtsbehörde eine genauere Risikoüberwachung ermöglichen und stärken damit die Stabilität der Versicherungsbranche. Unternehmen müssen die BaFin vierteljährlich und jährlich über wesentliche Kennzahlen und Entwicklungen informieren. Die Unternehmen übermitteln die Datensätze in einem standardisierten Format – diese geben dann Auskunft zur aktuellen Entwicklung zur Finanzlage und den Solvenzkapitalanforderungen. Die länderübergreifende Vergleichbarkeit dieser Daten ermöglicht es, drohende Risiken europaweit sichtbar zu machen.

Neue Vorschläge von der Kommission

Im September 2021 hat die EU-Kommission dann umfassende Legislativvorschläge zur Änderung der Solvency-II-Richtlinie und für eine neue Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie vorgelegt. Diese sollen dazu beitragen, dass Versicherungsunternehmen ihre langfristigen Investitionen in die Erholung Europas von der Coronavirus-Pandemie erhöhen können. Die Überarbeitung zielt weiterhin darauf ab, dass die Branche für Versicherungen und Rückversicherungen resilienter zu machen. Sie soll für künftige Risiken besser gewappnet sein und Versicherungsnehmer besser schützen können. Kleinere Versicherungsgesellschaften sollen weiterhin vereinfachten und verhältnismäßigeren Vorschriften unterliegen. Konkret umfasste die im September vorgeschlagene Überarbeitung diese Bestandteile:

  • Einen Gesetzgebungsvorschlag zur Änderung der Solvabilität-II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG)
  • Die Mitteilung zur Überarbeitung der Solvabilität-II-Richtlinie
  • Einen Gesetzgebungsvorschlag für eine neue Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen

Mehr Spielraum für Investitionen

Die Überarbeitung, soweit jedenfalls der Plan, soll europäischen Versicherern mehr Spielraum zur Finanzierung der Erholung geben. So sollen die Versicherer die Kapitalmarktunion voranbringen und Mittel für den europäischen Grünen Deal bereitstellen. Kurzfristig geht die EU-Kommission von Kapital in Höhe von rund 90 Milliarden Euro aus, das die Versicherer so freisetzen könnten.

„Der heutige Vorschlag wird die Versicherungsbranche in die Lage versetzen, ihr Potenzial zur Unterstützung der EU-Wirtschaft auszuschöpfen. So ermöglichen wir Investitionen in die Erholung und darüber hinaus. Außerdem fördern wir die Teilnahme der Versicherungsunternehmen an den Kapitalmärkten der EU, sodass langfristige Investitionen bereitgestellt werden, die für eine nachhaltige Zukunft von großer Bedeutung sind.“ – Mairead McGuinness, die für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion zuständige Kommissarin

Weitere Veränderungen ab Juni

Im Juni 2022 soll nun der ECON-Ausschuss des Europaparlaments einen Bericht zum Kommissionsentwurf vorlegen. Im November findet voraussichtlich die Abstimmung im Europaparlament statt, und im Jahr 2023 folgen – sofern alles nach Plan verläuft – die Trilog-Verhandlungen zwischen Europaparlament, EU-Kommission und Rat. Eine vollständige Zeitlinie sowie weitere Informationen zu Solvency II finden Interessierte auf der Website des GDV.

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