Seit diesem Jahr gibt es auf einem Hamburger Friedhof eine sogenannte Trauerhaltestelle. Sie soll allen Menschen einen Raum für ihren Schmerz geben und Impulse für eine moderne Trauerkultur setzen.
Ein neuer Ort für Trauer: die Trauerhaltestelle
Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg ist nicht nur der größte Parkfriedhof der Welt, er beherbergt seit Juni 2021 auch an zentraler Stelle einen neuen Ort für Trauernde: Die sogenannte Trauerhaltestelle besteht aus zwei massiven Betonklammern, die einen geschützten Raum bilden.
Sie ist für alle Besucher offen, die einen Platz für ihre Trauer brauchen. Darin gibt es Sitzgelegenheiten, einen Ablageort für Blumen sowie persönliche Gegenstände und die Möglichkeit, an den Wänden mit Kreide eine Botschaft zu hinterlassen.
Die Idee stammt von der Architektin Mareile Höring und der Interior Designerin Solveig Trzebiatowski. Die beiden gewannen mit ihrem Entwurf der Trauerhaltestelle 2012 beim Architekturwettbewerb „Trauer braucht Raum“ einen Sonderpreis. Dieser Entwurf wurde vom Architekturbüro Netter-Architekten von Susanne Netter ausgearbeitet und realisiert.
Das Konzept der Trauerhaltestelle wurde zunächst mit temporären Modellen in Originalgröße in Frankfurt am Main und im bayerischen Münnerstadt erprobt. Das Magazin evangelisch.de hat einen Videobeitrag zu der Trauerhaltestelle in Bayern veröffentlicht, der anschaulich zeigt, wie diese genutzt wurde:
„Trauer sollte etwas ‚normales’ sein“
Die Stiftung Deutsche Bestattungskultur pflegt und entwickelt die Idee und das Konzept der Trauerhaltestelle. Wir haben mit dem Kulturbeauftragten der Stiftung, Dr. Simon Walter, gesprochen.
Redaktion: Wie kam es zu dem Namen „Trauerhaltestelle“? Der Begriff lässt einen an eine Bahn- oder Bushaltestelle denken.
Dr. Simon Walter: Mit der Assoziation einer Bushaltestelle liegen Sie durchaus richtig. Es ging darum, einen Namen für einen ganz neuen Ort zu finden. Die Trauerhaltestelle soll wie eine Bushaltestelle ein Ort sein, an dem man ankommen kann, von dem man aber auch wieder aufbricht. Ein Ort, an dem man alleine oder gemeinsam verweilen kann. Ein Ort ohne Einlasskriterien und ohne Ein- oder Ausgang. Die Menschen können selbst entscheiden, wie sie die Trauerhaltestelle betreten und verlassen möchten, wie lange sie dort verweilen und auf welche Art und Weise sie dort trauern. Es gibt keinerlei Vorgaben.
Redaktion: Wie wird die Trauerhaltestelle von den Menschen bisher angenommen und genutzt?
Dr. Simon Walter: Bisher haben wir durchweg positives Feedback bekommen. Der Innenraum ist schon mit Botschaften beschriftet. Nächstes Jahr wollen wir eine Evaluation durchführen und herausfinden, wie genau die Trauerhaltestelle von den Menschen genutzt wird. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie lange sich Trauernde dort aufhalten, ob sie nur einmal oder regelmäßig kommen – und welche Angebote der Trauerhaltestelle sie besonders ansprechen.
Redaktion: Sie sprechen auf Ihrer Website von „neuen Impulsen für unsere Trauerkultur“, die von der Trauerhaltestelle ausgehen sollen. Wie meinen Sie das genau?
Dr. Simon Walter: Seit etwa 20 Jahren hören und lesen wir, dass unsere Bestattungs- und Trauerkultur sich im Wandel befindet. Aber dazu gibt es nur wenig konkrete Diskussionsgrundlagen. Wie schwer sich unsere Gesellschaft mit dem Themenkomplex Sterben und Trauern weiterhin tut, mussten wir ganz unmittelbar in der Corona-Pandemie erfahren. Dass in Deutschland nach aktuellem Stand fast 100.000 Menschen verstorben sind und dass um jeden dieser Menschen Familie, Freunde, aber auch Nachbarn oder Arbeitskollegen trauern – das ist im öffentlichen Diskurs völlig abstrahiert.
Dabei sollten wir uns als Gesellschaft Gedanken darüber machen, wie wir mit Tod und Trauer umgehen – gerade auch in der Öffentlichkeit. Trauer sollte etwas „normales“ sein. Außerdem sollte respektiert werden, dass jeder Mensch anders trauert und seinen eigenen Zugang finden muss, um mit dem Schmerz und dem Verlust umzugehen.
Und dafür brauchen wir neue Ideen und neue Ansätze. Die Trauerhaltestelle wirkt also einerseits als Ort und steht andererseits symbolisch für einen neuen Umgang mit Trauer.
Redaktion: Gibt es schon Pläne für weitere Trauerhaltestellen?
Dr. Simon Walter: Wir würden es begrüßen, wenn weitere Trauerhaltestellen entstehen. Zunächst wollen wir jedoch abwarten und beobachten, auf welche Resonanz die Trauerhaltestelle in Hamburg stößt. Durch die geplante Evaluation werden wir auch eine bessere Vorstellung davon bekommen, wie weitere Trauerhaltestellen aussehen könnten. Müssen alle genau gleich aussehen oder ist auch eine andere Gestaltung möglich? Welche Eigenschaften sind für Nutzer entscheidend? Vielleicht können auch schon bestehende Orte mit leichten Änderungen zu Trauerhaltestellen werden? Welchen Weg die Trauerhaltestelle gehen wird, liegt nun in den Händen der Menschen, die sie besuchen und nutzen.
Bilder: ©Katharina Roggmann/Stiftung Deutsche Bestattungskultur