Eisklettern ist ein nervenaufreibender Sport. Hinter den waghalsigen Bergsteigern verstecken sich oftmals Fondsmanager oder Marketing-Spezialisten, die an der steilen Eiswand den Adrenalin-Kick außerhalb des Büros suchen. Aber ist das Kraxeln an der zugefrorenen Wand wirklich so gefährlich, wie es aussieht? Und worauf kommt es bei einer guten Ausrüstung an?
Zuschauern stockt jedes Mal der Atem, wenn ein Eiskletterer mitten in der Eiswand plötzlich einen Pickel loslässt, um mit der freien Hand eine Eisschraube in das spiegelnde Glatt zu schlagen. Eissplitter fallen auf den Helm. Der Betrachter kann das Zittern und Brennen in dem Arm, der jetzt das ganze Körpergewicht des Sportlers am Berg hält, förmlich spüren. Die Stiefel taumeln hilflos in der Luft, bis der zweite Arm an der Schraube Halt gefunden hat und der Eiskletterer mit einem beherzten Sprung seine Steigeisen höher in die Eiswand tritt.
Wie gefährlich ist Eisklettern?
Wie kleine widerspenstige Spinnentiere muten die Bergsteiger auf die sichere Distanz des Zuschauers an, wenn sich ihr Eisgerät mit Haken Grip an senkrechten Oberflächen holt, die für Menschen nicht zum Betreten gemacht scheinen. Immer wieder rutschen sie ab und fangen sich im nächsten Moment. Aber ist der Sport wirklich so gefährlich, wie er aussieht? Ja und nein. Einerseits haben Studien ergeben, dass Eisklettern zumindest nicht zu den „Hochrisikosportarten“ gehört. Immer mehr Menschen gehen an die Eiswand, das zeigen zahlreiche Angebote für Aktivtouristen, die Erweiterung des Tourenangebots, eine große Mediale Abdeckung und die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema durch Bergsportvereine und Ausrüster. Andererseits finden sich in den Lokalzeitungen wintersportlicher Gemeinden immer wieder traurige Meldungen von Abenteurern, die von einer berstenden Eiskerze abrutschen und in die Tiefe fallen. 2018 gab es 63 Todesfälle allein in Österreich.
Fundierte Kenntnisse erforderlich
Was zählt, ist die Erfahrung. Experten raten, sich erst an eine Eiswand zu trauen, wenn fundierte Kenntnisse vorhanden sind. Das sonntägliche Bouldern gehört nicht dazu. Und auch erfahrene Bergsteiger müssen sich zunächst mit der neuen Materie vertraut machen. Eis ist nicht gleich Eis: Struktur, Oberfläche und Beschaffenheit verändern sich nämlich ständig mit der Temperatur. Innerhalb von Sekunden kann sich die Konsistenz bereits grundlegend verändern. Profis können das Element dann spüren, heißt es immer wieder.
„Mit der Zeit entwickelt man ein immer besseres Einschätzungsvermögen. Um sicher klettern zu können, müssen viele Faktoren berücksichtigt werden“
Eisklettern wird nie Routine
Was der geübte Südtiroler Eiskletterer Valentin Rieger meint: Auch mit aller Erfahrung der Welt bleibt immer ein gewisses Restrisiko. Auch geübte Sportler brauchen beim Eisklettern zusätzlich Kenntnisse über Wetter, Witterung und vor allem Lawinengefahr. Kletterer, auf die zuhause Kinder oder ein Partner warten, können diesbezüglich Vorsorgemaßnahmen treffen, damit ihre Liebsten im Ernstfall abgesichert sind.
Gute Ausrüstung kann über Leben und Tod entscheiden
Hinzu kommt, dass keinesfalls an der Ausrüstung gespart werden sollte. Eisgeräte, Steigeisen, wasserundurchlässige Kleidung, Lawinenverschüttetensuchgerät, die richtigen Handschuhe, ein sicherer Helm, Eisschrauben und vor allem Sicherungsmaterial – das eigene Leben hängt beim Eisklettern auch von gutem Equipment ab. Das Fachmagazin Bergzeit hat eine Packliste mit qualitativem Ausrüstungsmaterial für Eiskletterer zusammengestellt.
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Mit Spaß an den Eishang
Die enorme Entwicklung des Materials hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, das Risiko und die zahlreichen Gefahren einzudämmen. Anfänger finden vermehrt gute Literatur und können sich darüber hinaus auf künstlichen Anlagen ausprobieren. Der Großsponsor Red Bull hat eine Top 10 der aufregendsten Indoor-Eiskletterwände zusammengestellt.
Auch wenn die Vorbereitung mit viel Recherche und Arbeit verbunden ist, der Aufwand ist es wert. Erfahrene Kletterer werden bei jeder Tour auf freiem Gelände mit verschneiten Landschaften, phantasievollen Eisformationen und einem einzigartigen Farbschauspiel aus Sonnenstrahlen und Eis belohnt. Kein Wunder also, dass Eisklettern, auch wenn es weiterhin zu den schwierigsten Kletterstilen gehört, zunehmend zu einer Trendsportart wird.
Titelbild: © Robert Baker / Unsplash.com