Abschied in Indien: Vom Scheiterhaufen zu Mutter Ganga

Scheiterhaufen

Andere Länder, andere Sitten: Beim Wort Scheiterhaufen läuft es uns eiskalt den Rücken runter. In Indien dagegen gibt es zahllose Scheiterhaufen direkt am Ufer des heiligen Flusses Ganges. Denn bei der sogenannten Feuerbestattung setzen dort jedes Jahr die Einheimischen die Asche von circa 100.000 Menschen bei.

Die Feuerbestattung: Ritual der hinduistischen Bestattung

Die Bestattungsrituale unterscheiden sich im Hinduismus je nach Kaste, Region und gesellschaftlichen Status. Typisch für die Religion ist die Aufbahrung des Verstorbenen im Haus, die Waschung, das Einkleiden und das Einwickeln in ein Leichentuch. Da Feuer als Erscheinungsform der Gottheit Shiva gilt, ist auch die Bestattungsart der Feuerbestattung im Hinduismus sehr beliebt. Hindus glauben daran, dass ihre Seele sich durch die Verbrennung vom Leibe befreit.

Der Fluss Ganges hat eine besondere Bedeutung für Hindus: Wer am Fluss stirbt und sich bestatten lässt, entkommt dem ewigen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Traditionell findet in Varanasi, eine Stadt am Ganges, die Verbrennung des Leichnams am Todestag statt. Dort befindet sich ein Ghat (Verbrennungsplatz), der so genannte Scheiterhaufen. Der Tradition nach entzündet ein Sohn des Verstorbenen das Feuer. Tage später sammeln Angehörige die Asche ein und übergeben Sie der Natur, bevorzugt dem heiligen Fluss Ganges.

Der ewige Kreislauf: Tod und Wiedergeburt

„So wie ein Mensch abgetragene Kleider ablegt und andere, neue anlegt, so legt auch die Seele die abgetragenen Körper ab und geht in andere neue ein.“ (Bhagavad Gita II.22, Schrift des Hinduismus)

Die Weisheit der zentralen Schrift des Hinduismus deutet auf den Glauben der Religion hin. Denn: Ebenso wie auch die Buddhisten, glauben die Hindus an den ständig wiederholenden Kreislauf von Tod, Seelenwanderung und Wiedergeburt. Der Tod ist laut ihnen der Weg zur Befreiung und der Übergang zu einer neuen Existenzform. In welche neue Existenzform der Mensch übergeht, dafür ist das Handeln im jetzigen Leben entscheidend. Das Karma entscheidet dann, ob die Wiedergeburt als Mensch, Tier, Pflanze oder als Götterwesen erfolgt. Ziel ist jedoch ein viel größeres als die Wiedergeburt. Hindus streben an, den ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt zu durchbrechen und den Zustand höchster und ewiger Glückseligkeit zu erreichen.

Der Fluss Ganges: Kadaver, Asche und andere Dinge

„Mutter Ganga“, wie Angehörige der Hindu-Religion den Fluss Ganges nennen, ist der heiligste aller Flüsse, denn laut Religion ist er einer von sieben Zöpfen des Gottes Shiva. Im heiligen Wasser zu baden, befreit Hindus laut ihrem Glauben von allen Sünden. Ganz so rein, wie die religiösen Absichten des Flusses sind, ist er allerdings nicht. Denn der Ganges ist einer der sechs dreckigsten Flüsse der Welt. Während seines 2700 Kilometer langen Laufs überquert er einige unschöne Etappen. Von ungeklärtem Abwasser, über giftige Chemikalien von Feldern und Industrie oder Plastikabfällen und Bauschutt, bis hin zur Leichenasche in Varanasi – alles fließt ungehindert in den Fluss. Deshalb ist auch von den ursprünglich 140 Fischsorten, 90 Amphibien- und fünf aquatischen Säugetierarten nicht mehr viel zu sehen. Sie überlebten die Verschmutzung des Flusses nicht und sind nun fast ausgestorben. Bis der heilige Fluss in das Meer mündet, ist „Mutter Ganga“ ein stinkendes, giftiges und lebensgefährliches Gewässer.

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Titelbild: © A. Zeitler/AdobeStock

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