Letzte (Un-)Ruhe: In Äthiopien sorgen Klageweiber für Stimmung

Klageweiber
Unique monolithic rock-hewn Church of St. George (Bete Giyorgis), UNESCO World heritage, Lalibela, Ethiopia.

Die Tradition erscheint im westlichen Verständnis wohl etwas fremd: Frauen, die bei der Beerdigung gegen Bezahlung um den Verstorbenen klagen. Klageweiber nennt sich dieser Beruf, der noch in einigen Ländern wie Rumänien und Griechenland verbreitet ist. Und auch in Äthiopien ist es heute noch Brauch, Klageweiber für Beerdigungen zu engagieren.

Stirbt jemand in Äthiopien, kann seine Beerdigung ein ganzes Dorf lahmlegen. Zumindest, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten einflussreich war. An der Trauerprozession nehmen oft mehrere hundert Menschen teil. Die Frauen sind in weißen oder schwarzen Gewändern gekleidet, die Männer elegant in Hose und Jackett. Und: Die christlich-orthodoxe Bestattungskultur der Äthiopier zeichnet sich aus durch eine öffentlich geäußerte Trauer. Das Weinen und Herausschreien des Schmerzes über den Tod des Verstorbenen ist nicht nur zugelassen, sondern sogar erwartet.

Lautes Jammern und Schreien am Grab ist gewünscht

Anwesende – Männer wie Frauen – weinen, jammern, schreien ihre Trauer und schlagen sich dabei an die Brust. Sie raufen sich wortwörtlich die Haare und lassen sich nicht trösten. Das laute Jammern soll an das Leben der Verstorbenen erinnern und stellt ein Gebet um Erbarmen dar. Bei der Totenwache und der Beerdigung nehmen oft Klageweiber teil, in Äthiopien Alqasotsch genannt. Sie jammern nicht nur lautstark mit der Witwe und den Angehörigen, sondern greifen auch die vorgeschriebenen Gebete auf und rezitieren sie. Diese Gesänge wirken zwar spontan, folgen aber von der Tradition vorgegeben Mustern. Verwandte und Freunde beklagen das grausame Schicksal den Verstorbenen sowie dessen Familie und loben die Klagelieder. Dieses “Schauspiel” muss von Klagefrauen entsprechend geübt werden, um am Tag der Beerdigung glaubwürdig zu erscheinen.

Der Ursprung der Klageweiber

Doch was steckt hinter dem Ritual, den Toten lautstark zu beklagen – gar mit professioneller Hilfe? Es handelt sich um eine alte Tradition, die bereits während der Kaiserzeit üblich war. In dem traditionell geprägten Äthiopien wird diese Form der Trauerbewältigung noch heute gelebt – zumindest in den Städten, wo mehr wohlhabende Menschen als auf dem Land leben. Frauen – meist sind es Hausfrauen im mittleren Alter – klagen als Nebenberuf gegen Bezahlung auf Beerdigungen. Für etwas Geld heizen Klageweiber quasi die Stimmung an, um es den Anwesenden zu erleichtern, ihre Trauer zu äußern. Es handelt sich dabei um Frauen, die sozial gut vernetzt sind und sich gewählt ausdrücken können. Das ist notwendig, um die Klagelieder authentisch vortragen zu können.

Der Beruf Klageweib stößt im westlichen Verständnis wohl auf Stirnrunzeln, in Äthiopien ist er jedoch völlig normal. Das “Schauspiel” dient dazu, den Verstorbenen zu ehren. Eine spärlich besuchte Beerdigung bedeutet nach dortigem Verständnis, dass der Verstorbene nicht hoch angesehen oder unbeliebt war – eine Scham für die Familie.

Die Tradition bleibt in Äthiopien bestehen

Diese Tradition findet auch in modernen Zeiten weiterhin häufig statt. Männer dürfen den Beruf übrigens nicht ausüben. Der Grund, warum weiterhin an der Tradition festgehalten wird, liegt auch in der Bedeutung, die Äthiopier dem Tod beimessen. Nach der Beisetzung, die meist noch am Todestag stattfindet, werden die Angehörigen des Toten drei Tage im Haus nicht alleine gelassen – Freunde, Angehörige und Nachbarn stehen ihnen in der Trauer bei.

Die Trauerphase an sich dauert noch an. Je nach Wohlstand der Familie wird noch zwischen 15 bis 30 Tagen gefeiert, gegessen und gemeinsam getrauert. Nach dem Monat ist die Trauerphase aber noch lange nicht beendet: Insgesamt erstreckt sich diese über ein Jahr. Dem Toten wird im Anschluss in der Kirche in dieser Zeit an religiös vorgeschriebenen Tage gedacht. Der Tod hat weit mehr Bedeutung als der Geburtstag eines Menschen. Diese Feierlichkeiten stellen das kollektive Abschiednehmen eines Verstorbenen dar. Zudem tragen Frauen nach dem Ableben ihres Mannes schwarze Kleidung, während Männer wiederum sich ebenso lange nicht rasieren.

Ausladende Feste werden durch eine “Versicherung” gestemmt

Solch ausladende Feiern können nicht nur teuer werden, sondern Familien gar ruinieren. In Äthiopien kümmert sich daher eine traditionelle Form der Solidargemeinschaft, der “Idir“, um die Finanzierung. Auf dem Land schließen sich Familien zu solche Vereinen beziehungsweise Gruppen zusammen und tragen sich durch geringe Mitgliedsbeträge. Stirbt jemand aus der Gemeinschaft, organisiert diese im Gegenzug die Trauerfeier.

Das besondere Verhältnis zum Tod

Die Menschen in Afrika wollen, so wie überall auf der Welt, eine annehmbare Erklärung für den Tod finden. Ihrer Ansicht nach kann der Tod das Resultat der Unzufriedenheit eines Vorfahren sein, dem man nicht die gebührende Achtung erwiesen hat. Oder auch aus Boshaftigkeit eines Angehörigen einer fremden Sippe, der über magische Kraft verfügt. Die meisten Afrikaner sehen den Tod des Einzelnen im Zusammenhang mit der Fortdauer ihres Geschlechts, welcher sich im Ahnenkult zeigt. Diese Vorstellung gibt dem Menschen Trost, dass er nicht einfach verschwinden, sondern in der Erinnerung seiner Nachkommen und im Kult, den sie ihm zukommen lassen werden, weiterhin bestehen wird.

Der Totenkult nimmt in anderen Kulturen ebenfalls außergewöhnliche Züge an. In Indonesien lebt beispielsweise der Tote noch jahrelang mit der Familie zusammen, bis er bestattet wird. Und weitere Themen zu internationalen Todesritualen gibt es hier:

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