Arbeitszeit bei Vermittlern: Selbst und ständig

Macht zu viel Arbeit krank? Oder im Gegenteil, vielleicht sogar glücklich? Eine aktuelle Studie der WHO hat den Zusammenhang zwischen langen Arbeitszeiten und Gesundheitsrisiken analysiert. Wir haben Vermittler gefragt, wie lange sie arbeiten. Mit einem vielschichtigen Ergebnis.

Selbstständige arbeiten besonders lang

Arbeit ist das halbe Leben, sagt ein altes Sprichwort. Bei Vermittlern, die meist als Unternehmer arbeiten, ist es oft mehr als das. Laut Statistischem Bundesamt sind sie damit nicht allein: Selbstständige gehören demnach zu der Gruppe, die am häufigsten mehr als 48 Wochenstunden arbeitet. 46,3 Prozent aller Selbstständigen sind davon betroffen, darunter vor allem Unternehmer mit weiteren Beschäftigten.

Wir wollten es genau und für unsere Branche wissen: Eine Umfrage zu den Arbeitszeiten, die wir in verschiedene Facebook-Gruppen für Vermittler und Versicherungsmakler gepostet haben, scheint dies zu bestätigen. Aber sie zeigt auch, wie vielschichtig die Branche ist. Innerhalb einer knappen Woche haben 461 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen und angegeben, wie viel Stunden sie im Schnitt pro Woche arbeiten.

Mehr als die Hälfte (55,1 Prozent) arbeitet demzufolge zwischen 40 und 55 Stunden pro Woche. 8,46 Prozent sogar noch mehr. 21,26 Prozent arbeiten zwischen 30 und 40 Stunden, weitere 15,18 Prozent kommen auf weniger als 30 Stunden.

„Das variiert gerade in unserer Branche extrem“

In den Kommentaren betonen Vermittler, dass die Arbeitszeiten aufgrund der selbstständigen Tätigkeit stark schwanken würden. „Ich glaube, das variiert gerade in unserer Branche extrem. Letzte Woche habe ich locker mehr als 60 Stunden pro Woche gearbeitet (Schadenbesichtigungen, Eigenschaden in der Geschäftsstelle und normales Geschäft). In anderen Wochen liege ich bei 40 bis 55 Stunden“, schreibt ein Kollege.

Andere kommentieren, wie ihnen beispielsweise die Digitalisierung dabei geholfen hat, die Arbeitszeit zu reduzieren: „(Ich habe…) nahezu alles digitalisiert und in klare Prozesse gepackt und automatisiert. Dadurch sind aus 40 nun 20 (Stunden) geworden. Jetzt habe ich sogar wieder mehr Zeit für den persönlichen Kontakt.(…)“, kommentiert  Versicherungsmakler Sven Nebenführ.

Außerdem betonen einige, dass ihnen die Arbeit Spaß mache: „Eigentlich arbeite ich gar nicht, weil mir das Spaß macht, was ich hier mache, nennen wir es Zeitaufwand, ca. 20 Stunden die Woche, kann mehr sein, wenn mehr los ist“, lautet ein Kommentar. Matthias W. Schlattmeier schreibt: „Ich habe meine wöchentliche Arbeitszeit schon vor Jahren ganz konsequent auf 20 Stunden in der Woche reduziert.“ Er erklärt in einem weiteren Gespräch: “Heute arbeite ich konsequent nicht mehr als 20 Stunden, lediglich 3 Stunden davon in der Agentur, montags von 9 bis 12 Uhr und schreibe deutlich qualifizierteres Geschäft als zu Zeiten, wo ich das Hamsterrad in Schallgeschwindigkeit drehte. Mein (Erfolgs)Geheimnis? Unerreichbarkeit. Rufumleitung direkt in die Agentur und das dauerhaft. Ich habe mindestens sechs Monate im Jahr eine Rufumleitung im Handy und kommuniziere überwiegend über WhatsApp oder Social Media. Außerdem kommuniziere ich ganz deutlich, dass ich ausschließlich auf Empfehlung arbeite. Ab dem Moment, wo ich mich in sozialen Netzwerken über „#Empfehlungskunden sind #Topkunden“ positionierte, explodierte das Neukundengeschäft regelrecht.“

Die aufgewendete Arbeitszeit scheint also individuell sehr unterschiedlich auszufallen, auch wenn die Mehrheit auf mehr als 40 Stunden pro Woche kommt.

Kann zu viel Arbeit krank machen?

Doch was bedeuten lange Arbeitszeiten für die Gesundheit? Zu diesem Thema schlugen in einer aktuellen Studie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Alarm. Die Forscher analysierten dafür die Daten aus Dutzenden Studien mit hunderttausend Teilnehmern und veröffentlichten die Ergebnisse in der Zeitschrift Environment International.

Ausgewertet wurden Umfragen zu Arbeitszeiten – in einem angestellten oder selbstständigen Verhältnis – in der Gesamtbevölkerung in 154 Ländern, darunter Deutschland. Die Forscher gaben an, dass laut ihren Berechnungen die Zahl der Todesfälle, die in Zusammenhang mit langen Arbeitszeiten stehen, zwischen 2000 und 2016 um 42 Prozent allein im Jahr 2016 weltweit angestiegen seien.

Rund 745.000 Menschen seien an einem Schlaganfall oder einer Herzerkrankung gestorben, weil sie mindestens 55 Stunden pro Woche gearbeitet hätten. Die meisten Betroffenen seien laut Studie männlich gewesen, zwischen 60 und 79 Jahre alt, und hätten zwischen dem 45. und 74. Lebensjahr mindestens 55 Stunden pro Woche gearbeitet. Überarbeitung sei damit „der führende Risikofaktor für Berufskrankheiten“, schließt die WHO.

„Die Grenzen zwischen Zuhause und Arbeit verschwimmen“

Besonders betroffen waren zwar Menschen, die in Ländern außerhalb Europas mit den jeweiligen Arbeitsschutzgesetzen leben, aber die Forscher warnen auch vor den negativen Folgen der Arbeitsbedingungen hierzulande, die vor allem infolge der Pandemie zugenommen hätten:

„Homeoffice ist in vielen Branchen zur Norm geworden, wobei die Grenzen zwischen Zuhause und Arbeit oft verschwimmen“, zitiert die Berliner Zeitung den WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. In einem DELA-Interview erklärt Zeitmanagement-Expertin Cordula Nussbaum zum Thema Homeoffice: „Ich nehme bei ganz vielen Menschen wahr, dass sie beinahe in die Selbstausbeutung gehen. Sie können rund um die Uhr arbeiten, was bei vielen Menschen dazu führt, dass sie es auch tun.“

Müssen Menschen, die viel arbeiten, nun um ihre Gesundheit fürchten? Das kommt wohl auf mehrere Faktoren an: Laut IT-Daily gaben in einer Umfrage nur ein Drittel der Selbstständigen an, ständigen Zeitdruck zu empfinden. Das ist ein besserer Wert als bei Angestellten, die bei etwa 40 Prozent lägen.

Außerdem folgen viele dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und sind dadurch auch zufriedener mit ihrem Job. Unsere Umfrage zeigt auch: Viele Vermittler finden – zum Beispiel durch digitalisierte Prozesse – Lösungen, um die Zeit für die Arbeit besser zu nutzen oder empfinden diese überhaupt nicht als Last.

So erklärt Sven Nebenführ: “Ich bestimme selbst über meine Arbeitszeit. Man muss die Vorteile der Digitalisierung dafür nutzen, mehr Platz für Empathie und seine Kunden zu schaffen.”

Titelbild: ©Alex Muchnik