Arbeitszeiterfassung: „Die Zeit der Stechuhr ist vorbei”

Arbeitszeiterfassung: „Die Zeit der Stechuhr ist vorbei
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Die Stechuhr ist zurück: Vorerst allerdings nur in der öffentlichen Diskussion. Bereits jetzt werden Proteste laut. Wie steht die DELA zum umstrittenen EUGH-Urteil? Wir haben nachgefragt.

Europa urteilt zur Arbeitszeiterfassung

Vorweg jedoch eine kurze Erinnerung. Ihren Ursprung nahm die neue Debatte im Sommer 2019. Der Europäische Gerichtshof hatte per Urteil festgelegt, dass Arbeitgeber die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten messen müssen. Kaum war das europäische Urteil durch, lag die Verantwortung, diese Vorgabe in nationale Gesetzgebung zu übersetzen, bei den europäischen Ländern.

Die haben das Thema jedoch vorerst schleifen lassen. Zwar legt das deutsche Arbeitszeitgesetz fest, dass Arbeitgeber Überstunden und Sonntagsarbeit ihrer Mitarbeiter dokumentieren müssen, von der vollen Arbeitszeit war keine Rede. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat nun zusätzliche Klarheit in die Thematik gebracht. In einem neuen Urteil verpflichtete es Arbeitgeber dazu, die komplette Arbeitszeit zu erfassen.

Hilft nicht, nervt alle

Das wiederum trat eine neue öffentliche Diskussion los. „Hilft nicht, nervt alle“, titelte etwa die Welt. Das Stechuhr-Urteil sei aus der Zeit gefallen, heißt es beim Deutschen Verbände Forum. Wie kommt das Urteil bei der DELA an? Das haben wir Walter Capellmann, Hauptbevollmächtigter der DELA in Deutschland, gefragt.

Redaktion: Herr Capellmann, das Bundesarbeitsgericht hat geurteilt, dass Arbeitszeiterfassung wieder verpflichtend ist. Wie stehen Sie persönlich zu diesem Thema?
Arbeitszeiterfassung Walter Capellmann
Walter Capellmann

Walter Capellmann: Ich finde es schade, weil wir uns bisher immer auf Vertrauensbasis mit unseren Kollegen und Mitarbeitern geeinigt haben. Wir haben letztendlich Kernarbeitszeiten etabliert, aber offen gelassen, wann genau unsere Kollegen ihre Kernarbeitszeiten durchführen. Natürlich geschieht das nicht vollkommen blind – die Teamleiter wissen durchaus, wann ihre Mitarbeiter da sind. An zwei Tagen in der Woche hat jeder Kollege ein Anrecht auf Homeoffice.

Redaktion: Und wie geht die DELA als Konzern mit der Arbeitszeiterfassung um? Wo liegen die Herausforderungen?

Walter Capellmann: Für uns ist die Arbeitszeiterfassung zurzeit ein zusätzlicher Ballast. Zwar gibt es keine wirklichen Herausforderungen bei der Umsetzung, auch nicht auf der technischen Seite. Aber wir müssen den Kollegen mitteilen, dass vonseiten des Gesetzgebers verlangt wird, die Arbeitszeiten zu erfassen. Das betrifft dann natürlich nicht nur einzelne Abteilungen, sondern alle Beschäftigten. Wir haben die notwendigen Systeme bereits, nutzen sie aktuell nur nicht.

Wichtig dabei ist, besondere Arbeitsmodelle wie etwa mobiles Arbeiten bei dieser Gesetzgebung zu beachten. Wie ist etwa die Arbeitszeiterfassung mit dem mobilen Arbeiten zu vereinbaren? Da gibt es definitiv Einzelheiten, die noch einer Diskussion bedürfen.

„Das Problem mit der Arbeitszeiterfassung liegt in der Kommunikation.“ – Walter Capellmann

Redaktion: Arbeitszeiterfassung und die Idee der Vertrauensarbeitszeit – wie passt das zusammen?

Walter Capellmann: Ganz einfach: Es passt nicht zusammen. Das Problem liegt hier – wie erwähnt – nicht in der Technik, sondern in der Kommunikation. Wie erkläre ich einem Mitarbeiter, der bisher auf einer Vertrauensbasis gearbeitet hat, dass er jetzt stempeln muss, nur weil der Gesetzgeber auf europäischer Ebene eine entsprechende Vorgabe gemacht hat?

Redaktion: Es ist nun nur noch eine Frage der Zeit, bis der Gesetzgeber EU-Recht in nationalen Rahmen gießt. Welche technische Lösung ist aus Ihrer Sicht am besten für die Arbeitszeiterfassung?

Walter Capellmann: Wir sind sehr zufrieden mit Personio, also dem Tool, das wir nutzen. Man könnte natürlich nach anderen Modellen schauen, aber das haben wir derzeit nicht vor.

Redaktion: Auch vor dem Hintergrund, dass mobile Mitarbeiter vielleicht nicht immer mit demselben Tool gemessen werden können wie diejenigen, die zum Arbeiten in den Konzern kommen?

Walter Capellmann: Da wird es womöglich eine Übergangsphase geben. Es kann sein, dass zum Beispiel diejenigen Mitarbeiter, die irgendwo anders in Europa sitzen und für uns fest angestellt arbeiten, ihre Arbeitszeiten auf eine andere Art und Weise melden müssen wie ihre Kollegen im Office. Das kann zum Beispiel über einen Login im Laptop passieren. Allerdings gehe ich davon aus, dass diese Phase nur so lange anhalten wird, bis die Anbieter von Zeiterfassungstools sich auf diese neue Situation eingestellt und entsprechende Funktionen entwickelt haben.

„Die Zeiten der Stechuhr sind vorbei.“ – Walter Capellmann

Redaktion: Aber die Stechuhr ist nichts für Sie.

Walter Capellmann: Nein. Die Zeiten der Stechuhr sind vorbei.

Redaktion: Wie stellen Sie sich das Arbeitsmodell der Zukunft vor? Loggt sich in Zukunft jeder vom australischen Strand aus ein?

Walter Capellmann: Dieser spezielle Fall geht bei uns zum Beispiel nicht. Wir erlaben zwar mobiles Arbeiten und Homeoffice, aber nur innerhalb Europas. Es gibt jedoch schon jetzt Konzerne, zum Beispiel Sapiens, die eine Hauptverwaltung haben, aber deren Mitarbeiter in aller Welt arbeiten.

Bei solchen Konzernen ist es möglich, dass sie die Arbeitszeiterfassung einfach bei den europäischen (oder speziell den deutschen) Mitarbeitern lassen. Diejenigen, die dann von Europa aus ins Hauptquartier fliegen, die melden sich dann eben kurz zu einer Geschäftsreise ab.

Das tatsächliche Arbeitsmodell der Zukunft wäre für mich gewesen: Lass die Leute so frei arbeiten wie sie gerade sind. Wenn es der Wunsch der Mitarbeiter ist, eine Arbeitszeiterfassung einzusetzen, dann kann der Arbeitgeber sich womöglich etwas einfallen lassen. Aber aktuell ist das Ganze eher ein großer Schritt zurück.

Titelbild: ©PheelingsMedia/ stock.adobe.com, Beitragsbild: © DELA