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m ersten Teil des Interviews berichtete Julia Janotte, Sicherheitsforscherin beim DAV, über die wachsende Beliebtheit sowie verschiedene Arten des Kletterns. In Teil zwei fragen wir nach, wie riskant der Sport ist und welche Maßnahmen Unfällen vorbeugen sollen.
Redaktion: Frau Janotte, wie viele Kletteranlagen betreibt der DAV in Deutschland?
Julia Janotte: 350 gelistete Indoor- und Outdoor-Kletteranlagen. Dazu zählen nicht nur klassische Kletterhallen sondern auch DAV-Wände in Sportvereinen oder in Schulen – dadurch möchten wir den Klettersport fördern. Reine Kletterhallen betreiben wir deutschlandweit rund 200. Hinzu kommen private Hallen, die nicht vom DAV betrieben werden.
Redaktion: Wie wird die Sicherheit in den Hallen gewährleistet? Wer haftet für Verletzungen der Kletterer?
Julia Janotte: Zum einen haben wir eine gesicherte Infrastruktur, die outdoor nicht in dem Umfang gewährleistet werden kann. Hier prüft jährlich der TÜV und zwischenzeitlich die Betreiber. Wer ohne Ausrüstung kommt, der kann sich die persönliche Schutzausrüstung – die den Kletterer vor einem Absturz aus großer Höhe bewahrt – in der Halle ausleihen. Dafür gibt es eine EU-weite Verordnung, die auch eine Wartung vorschreibt.
Wer erstmalig in die Halle kommt, durchläuft zudem ein Eintrittsprozedere: Es wird abgefragt, wie viel Erfahrung die- oder derjenige hat, ob sie oder er sichern und klettern kann und im Zweifel wird auf einen Kurs verwiesen. Während des Betriebs ist allerdings jeder für sich selbst verantwortlich. Wir haben keinen „Bademeister“. Stattdessen unterstützen wir in Kampagnen und Schulungen, dass sich Kletterer auf Basis von Eigenverantwortung gegenseitig verbessern.
Redaktion: Zu wie vielen und welchen Unfällen kam es in den Kletterhallen des DAV?
Julia Janotte: Wir führen eine gemeinsame Statistik mit dem Verband privater Kletterhallen (Klever). Unfälle, die wir gemeldet bekommen, beziehen sich auf diejenigen, die einen Rettungsdiensteinsatz nach sich gezogen haben. Das sind im Jahr rund 200 Unfälle insgesamt. Nicht alle Hallen melden ihre Unfälle. Aber man muss sagen, dass es gemessen an Hallen und Besuchern, zu wenigen Unfällen kommt:
Es gibt 350 Anlagen mit jeweils rund 200.000 Eintritten pro Jahr in den großen Hallen. Das Unfallrisiko pro 1.000 Stunden Sportausübung liegt laut meiner Berechnung bei 0,18 Unfällen für das Bouldern und 0,02 für das Klettern – mit RTW-Einsatz wohlgemerkt. Das bedeutet: Sportler müssten 5.560 Stunden Bouldern oder 50.000 Stunden klettern, bis es zu einem entsprechenden Unfall kommt. (Angenommene Expositionszeit pro Eintritt Bouldern: 1h, Klettern: 1,5h)
Tatschlich passiert auch mehr beim Bouldern als beim Klettern. Das liegt daran, dass es sich meistens um unspektakuläre Sportverletzungen der Extremitäten handelt. Beispielsweise beim Absprung und Aufkommen auf der Matte. Jeder Absprung ist demnach ein mögliches Risiko für eine solche Verletzung.
Tatsächlich gestorben sind in den letzten 20 Jahren zehn Menschen in einer Kletterhalle. Die Ursachen waren immer menschliches Versagen: Die Verbindung zu Seil und Gurt hat nicht gestimmt. Sie waren alle nicht richtig gesichert.
Redaktion: Wie beugen Sie hier als DAV vor?
Julia Janotte: Wir haben auch hierzu entsprechende Kampagnen. Beispielsweise den „Partnercheck“, damit sich jeder vor dem Losklettern nochmal gegenseitig kontrolliert. Trotzdem lässt sich das Risiko nicht komplett auf Null reduzieren.
Redaktion: Wie sieht es im Vergleich mit Kletterunfällen in der Natur aus?
Julia Janotte: Da das Gelände ganz anders ist, sind die Ursachen hier meist sturzbedingt. Was draußen noch hinzukommt, sind objektive Gefahren, wie beispielsweise Steinschlag oder Griffausbruch. Hier haben wir im Jahr rund 70 Unfälle und Notlagen. Letzteres sind eher Blockierungen, wenn eine Seilschaft mitten in der der Wand nicht mehr weiterkommt und die Rettung ruft. Auch ein solcher Fall wird versicherungsseitig dokumentiert, auch, wenn es zu keinem Unfall kommt.
Entsprechende Notrufe haben in den vergangenen Jahren zugenommen, da die Menschen durch ihr Handy schneller nach Hilfe rufen können, schon bevor es zu Unfällen kommt. Zudem muss man sagen, dass mehr Menschen dem Klettersport nachgehen, ergo kommt es auch zu mehr Einsätzen.
Unfälle passieren aber nicht nur Anfängern. Ein Griffausbruch kann auch einem Profi wie Alexander Huber passieren. In einer Untersuchung, inwieweit Anfänger häufiger verunglücken, gab es keine signifikanten Unterschiede. Das kann auch daran liegen, dass sie keine Routinen entwickelt haben und noch vorsichtiger sind.
Redaktion: Was leistet der DAV konkret, um Unfälle in der alpinen Region vorzubeugen?
Julia Janotte: Neben der Ausbildung unserer Leute leisten wir viel Aufklärungsarbeit durch Kampagnen oder auch unser DAV-Mitgliedermagazin Panorama. Das A und O ist eine gute Ausbildung sowie eine gute Tourenplanung mit entsprechendem Risikomanagement. Nur so lässt sich das Risiko auf ein gewisses Maß reduzieren.
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