Miriam Höller: „Meine Motivation: im Leben viele wunderschöne Momente sammeln“

Stuntfrau

Wer Miriam Höller sieht, der kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, welchen schweren Schicksalsschlag sie durchlebt hat. Bereits als Stuntfrau arbeitend, wurde sie 2010 durch die fünfte Staffel Germany’s next Topmodel bekannt. 2015 gründete sie ihre eigene Stuntfirma, arbeitete erfolgreich und auch privat hatte sie mit Stuntpilot Hannes Arch das Glück gefunden. Dann der Schock: Bei einem verhältnismäßig harmlosen Sprung in High Heels brach sie sich während eines Fotoshootings beide Füße. Als wäre das nicht schon genug, folgte nur sechs Wochen später – im September 2016 – die Hiobsbotschaft: Ihr Lebenspartner war bei einem Helikopter-Absturz tödlich verunglückt. Über lange Zeit kämpfte sich Miriam Höller „Schritt für Schritt“ zurück ins Leben. Heute ist sie eine Inspiration für andere

Redaktion: Frau Höller, wie sind Sie zu dem Job der Stuntfrau gekommen? Wann wussten Sie, dass Sie es machen wollen und es Ihr Traumjob ist?

Miriam Höller: Schon als kleines Mädchen war ich sehr mutig und willensstark, keine Prinzessin, eher ein Wildfang. Mit drei Jahren habe ich mit dem klassischen Ballett begonnen und durfte über viele Jahre einige Hauptrollen vor über 1.000 Menschen in der Mülheimer Stadthalle tanzen.

Doch insgeheim wollte ich Actionheldin werden, träumte davon zu FLIEGEN und außergewöhnliche Kräfte zu haben. Wonder Woman war mein großes Vorbild.

Ich hatte vor nichts im Leben Angst, außer vor dem zu Bett gehen, denn ich könnte ja etwas verpassen. Nur einige Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt liegt ein großer Freizeitpark. Nach der Schule fuhr ich so oft es mir möglich war dort hin, um die Stuntshow mit ihrem wagemutigen Darstellern und den großen Explosionen zu bestaunen. Nach meinem Realschulabschluss bewarb ich mich dann dort als Stuntfrau und ich merkte schnell, dass Rückschläge in dieser männerdominierten Branche zum Alltag gehören.

Mein Ziel war klar: Ich möchte Deutschlands erfolgreichste Stuntfrau werden.

Also hatte ich nur eine Aufgabe: ich musste alteingesessene Stuntmänner von meinem Talent, meiner Disziplin, Willensstärke und meinem Durchhaltevermögen überzeugen.

Redaktion: Demnach schon einige Jahre an Berufserfahrung. Was war für Sie der bisher aufregendste Job?

Miriam Höller: Es waren so viele spannende Aufträge dabei, die man gar nicht miteinander vergleichen kann. Beispielsweise das Stuntdouble für die Hauptdarstellerin im Film „Hindenburg“ zu sein und brennend aus einem Luftschiff zu springen. Oder für die Uhrenmarke „Breitling“ einen Werbespot zu drehen, bei dem ich auf den Flügeln eines Doppeldecker-Flugzeuges stehe. Auch sie unzähligen Stuntshows im Movie Park Germany, bei denen ich täglich von Autos angefahren wurde, von explodierenden Dächern gesprungen bin und mich von Kopf bis Fuß habe anzünden lassen. Wenn ich allerdings ein Highlight nennen darf, sind es sicher meine Feuerflügel, die ich zum ersten Mal beim Lifeball in Wien präsentiert habe. Eine 25 Kilo schwere Stahlkonstruktion, die den Flügeln eine Spannweite von drei Metern verleiht – Mittlerweile mein Markenzeichen. Generell sind Feuerstunts sind mit die schwierigsten und risikoreichsten Stunts. Außerdem ziehen sie die größten Konsequenzen nach sich. Somit waren sie für mich aber auch immer eine besondere Motivation.

© Laurent Ziegler
Redaktion: Stuntfrauen und Männer werden eingesetzt, um dann einzuspringen, wenn Schauspieler an ihre Grenzen stoßen. Gab es etwas, das für Sie persönlich „off Limits“ war?

Miriam Höller: Die wichtigste Regel lautet immer: Safety First. Auch, wenn wir Stuntleute darauf spezialisiert sind, gefährliche Situationen zu kalkulieren, um sie kontrollieren zu können, gibt es immer noch ein Restrisiko.

Ich liebte schon als Kind die Gefahr. Wenn man mir sagte, das geht nicht oder das kannst du nicht, habe so lange trainiert, bis ich es konnte.

Es ist daher die Grundvoraussetzung sich gerne mit seinen eigenen physischen und psychischen Grenzen auseinandersetzen zu wollen. Auch gerne über diese Grenzen zu gehen, eventuell zu scheitern, um es dann beim nächsten Mal besser zu machen. Eine Aneinanderreihung von Erfahrungen, die dann irgendwann den perfekten Stunt, den perfekten Augenblick kreiert.

Redaktion: Sie haben sich nach einer schwere Verletzung zurückgekämpft. Mittlerweile arbeiten Sie nicht mehr als Stuntfrau. Wie schwer war es, sich damit abzufinden?

Miriam Höller: Die bleibenden Schäden in meinem linken Fuß hinderten mich daran, in meinen Traumberuf zurückzukehren.

Das war für mich eines der schwierigsten Realisierungen überhaupt, nie wieder als Stuntfrau arbeiten zu können.

Ich habe mich über meinen Beruf und meine körperlichen Leistungen definiert. Stuntfrau zu sein, war meine Identität. Meine Angst und Unsicherheit definierte ich aus dem Verlust meiner Gesundheit und somit der Grundlage meines Berufes. Ich musste mich im wahrsten Sinne des Wortes Schritt für Schritt zurück ins Leben kämpfen. Dabei half mir ganz klar die Philosophie als Stuntfrau, sich große Ziele zu setzen, über Schmerz und Grenzen hinaus zu gehen und es so lange zu versuchen, bis man den Dreh raus hat. Ich habe mir eine neue Identität aufgebaut und somit arbeite ich heute als Keynote-Speakerin. In meinen Vorträgen erzähle ich von meinem risikoreichen Beruf. Oftmals ist allerdings die Routine, also die gelebte Sicherheit, die Gefahr. Daher ermutige ich Menschen, niemals aufzugeben, wenn sie mit großen Veränderungen oder Rückschlägen in ihrem Leben umgehen müssen. Denn nur, wenn Du in Bewegung bleibst, Deine Komfortzone verlässt, kannst Du Dich neu erfinden, lernen und wachsen. Nur so gibst Du Glück und Erfolg die Chance, Dich zu treffen.

© Dominik Pfau
Redaktion: Wie waren Sie in Ihrem Beruf abgesichert beziehungsweise versichert? Hat der Unfall hier ein neues Bewusstsein geschaffen?

Miriam Höller: Von Anfang an war mir klar, dass mein Beruf ein großes Risiko mit sich bringt. Somit habe ich mich bei der einzigen Versicherung zum Höchstsatz versichert, die Stuntleute überhaupt annehmen. Stuntfrau zu sein bedeutet, im vollen Bewusstsein zu leben. Das habe ich schon mit 18 Jahren verstanden, als ich mich selbstständig machte.

Das das Leben manchmal unfaire Spiele spielt, die wir nicht durchblicken können, war mir in meiner Leichtigkeit nicht bewusst.

Umso dankbarer war ich aber, dass ich eine Versicherung hatte, die mich aufgefangen und mich in meinem bestmöglichen Genesungsverlauf unterstützt hat. Die Heilungsmethoden haben für meinen Anspruch nicht ausgereicht. Somit habe ich auch hier Eigenverantwortung übernommen und alles dafür gegeben, jede noch so außergewöhnliche Heilungsform zu finden, die mich wieder als Stuntfrau arbeiten lassen kann. Trotz größtem Ehrgeiz und Disziplin hat es nicht ausgereicht. Meine Verletzungen waren zu groß und somit musste ich meine jetzige Situation akzeptieren und mir neue Ziele setzen.

Redaktion: Stuntleute gehen quasi jeden Arbeitstag ein hohes Risiko ein. Wie denken Sie über den eigenen Tod?

Miriam Höller: Niemals hatte ich den Tod mit meinem Beruf in Verbindung gebracht. Kein Hochleistungssportler, kein Stuntman denkt vor dem Startschuss an das Schlimmste, was passieren könnte. Körperliche und psychische Höchstleistungen zu erbringen, geht immer mit einem hohen Selbstbewusstsein einher. Auch Optimismus trägt einen durch die schwierigsten Aufgaben. Erst, als mein Lebenspartner, der Stuntpilot war, mit seinem Helikopter abgestürzt und tödlich verunglückt ist, wurde mir bewusst, wie gefährlich dieses Selbstbewusstsein sein kann. Auch wir sind nur Menschen, manchmal müde, gestresst oder ausgelaugt. Wir verfallen – wie jeder andere auch – in Routinen. Daraus ergeben sich Fehler oder Unachtsamkeit, sei es nur für einen kleinen Moment. Auch, wenn es die Hauptaufgabe ist, entsprechende Fehler zu minimieren, sind wir keine perfekten Maschinen.

Wir sind Menschen, dessen Handeln im Beruf fatale Konsequenzen mit sich ziehen kann.

Antrieb und Motivation sind jedoch stets größer als das Risiko. Völlig unabhängig vom Beruf denke ich aber, dass der Umgang mit dem eigenen Tod eines der wichtigsten Aufgaben im Leben eines jeden Menschen ist.

Redaktion: Was war für Sie das Schönste an Ihrem Job als Stuntfrau? Der Grund, warum sie immer auf ein Neues Risiken in Kauf nahmen?

Miriam Höller: Jeder der auf sein Leben zurück blickt, findet schnell seine schönsten und außergewöhnlichen Lebensmomente. Das kann die erste Besteigung eines Berges sein, das im Arm halten des eigenen Babys oder der perfekte Kuss. Alles Momente haben eine Sache gleich: Es ist der Augenblick in dem die Welt für ein paar Sekunden still steht. Nichts um einen herum ist mehr wichtig. Man lebt den Moment mit einhundertprozentiger Aufmerksamkeit. Man ist umhüllt von einem positiven Gefühlsmantel voller Selbstwertgefühl, Stolz, Liebe, Klarheit, Power und Vertrauen. Ein Zustand, eine Art Flow voller Lebendigkeit. Das sind die besonderen Lebensmomente, auf die wir alle eines Tages zurück schauen.

Es ist meine persönliche Motivation im Leben so viele wunderschöne Momente wie möglich zu sammeln.

Und somit würde ich keinen einzigen Stunt bereuen, nicht einmal den letzten. Denn alles ist sein Risiko wert.

Titelbild: © Wolfgang Lienbacher,

Beitragsbild Flügel: © Laurent Ziegler,

Beitragsbild Publikum: © Dominik Pfau