I like to move it: Das Leichenwendfest in Madagaskar

Leichenwendfest in Madagaskar

In vielen Kulturen endet das Leben nicht nach dem Tod. Der Leichnam wird aufwendig aufgebahrt, konserviert, vorbereitet auf das Leben danach. In Madagaskar feiern die Menschen sogar mit den Toten zusammen. Alle paar Jahre entnehmen sie die Gebeine und tanzen um diese herum. Famadihana heißt das Ritual. Ganz ungefährlich ist es aber nicht: Die Pestfälle häufen sich auf der Insel.

Die Lebenden und Toten sind für immer vereint

Im Glauben der Madagassen gehören die Verstorbenen genauso zur Familie wie die Lebenden. Als Razana bezeichnen sie ihre Ahnen. Wer sie achtet, dem geht es gut. Die Toten sind wichtig für das Familiengefühl – auch weil sie besondere Fähigkeiten haben. Man sagt, nur sie könnten zu Gott sprechen. Als solche nehmen sie eine wichtige Vermittlerrolle ein. Madagassen vermeiden es deshalb, ihre Ahnen zu verärgern, aus Angst, damit Unheil für die Familie heraufzubeschwören.

Die Familie mitsamt der Ahnen nimmt auf der Insel vor Afrika einen hohen Stellenwert ein. Das Ritual, die Verstorbenen neu einzukleiden, vollziehen aber trotzdem nur zwei Volksgruppen: die Merina und die Betsileo. Das Ritual findet zwischen Juni und September im Hochland zwischen der Hauptstadt Antanarivo und dem südlicheren Ambositra statt.

 Die Toten werden in der Gruft beerdigt

Und noch etwas findet auf Madagaskar etwas anders statt, als in der westlichen Welt: Der Leichnam wird nicht in der Erde bestattet, sondern in einer Familiengruft, die sehr aufwendig gestaltet sein kann. Zu welchem Zeitpunkt diese für das Leichenwenden, also die Famadihana, geöffnet wird, entscheidet jede Familie selbst. Klare Vorgaben gibt es nicht. Madagassen glauben daran, dass ihre Ahnen ihn das Zeichen geben: indem sie ihnen frierend im Traum erscheinen.

Ist das nicht der Fall, entscheidet ein Heiler – auch Ombiasy genannt – wann es notwendig ist, den Leichnam zu wenden. In der Regel findet das Fest alle drei bis sieben Jahre statt. Zu kurz dürfen die Abstände aber auch nicht sein, schließlich ist eine Famadihana sehr kostspielig.

Eine Famadihana ist ein großes Fest

Und auch sehr aufwendig, weshalb die Planungen schon zwei Jahre im Voraus starten. Die gesamte Familie spart, um die Feier bezahlen zu können. Kurz bevor sie beginnt, säubern die Angehörigen die Gruft und bemalen sie. Wie bei solchen Feierlichkeiten üblich, werden Tiere geschlachtet und große Mengen Reis und andere Mahlzeiten vorbereitet. Das Essen muss für viele Gäste ausreichen.

Am Tag des Festes werden die Lebenden und Toten einander vorgestellt. Die Anwesenden lachen und feiern – so wie bei einer normalen westlichen Familienfeier. Nur mit dem Unterschied, dass diese auf dem Friedhof stattfindet. Das Fest ist eine Gelegenheit, Neuigkeiten auszutauschen und alte Bande weiterzuknüpfen. Zu diesem Anlass werden die Särge der Toten herumgetragen und um sie herum getanzt. Außerdem gibt es zum Essen reichlich Alkohol: Toaka Gasy, ein selbstgebrauter Rum. Auch Touristen sind an Famadihana willkommen, müssen sich aber anpassen. Heißt: Tanzen, Trinken und Essen wird nicht nur gewünscht, sondern auch erwartet.

Die Feier kann mehrere Tage dauern und vereint Angehörige verschiedener Religionen miteinander. Rund 40 Prozent Christen leben auf Madagaskar, der Rest gehört alten Religionen an. Der Kirche ist das Fest allerdings ein Dorn im Auge.

Die Feier birgt ein gesundheitliches Risiko

Weniger aus religiöser, denn aus gesundheitlicher Sicht ist das Leichenwendfest durchaus riskant. Auf der Insel kommt es jedes Jahr zu Pestwellen. Seit 2010 zählte die WHO weltweit 584 Pesttote, rund 500 davon in Madagaskar. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist die hochansteckende bakterielle Infektionskrankheit, die meist über Rattenflöhe übertragen wird, im zentralen Hochland endemisch. Die meisten Pestopfer sind Kinder, die in der Nähe von toten Ratten spielen. Eine Rolle bei der Verbreitung der Pest in Madagaskar spielt offenbar auch der Famadihana-Brauch. Selbst nach Jahren können Pesttote noch ansteckend sein. Oft kommt es nach solchen Feiern zu Ausbrüchen der Krankheit. Wohl auch deshalb warten viele Familien die vom Gesundheitsministerium empfohlenen sieben Jahre bis zur Umbettung ab.

Andere Länder, andere Sitten: So wird der Tod zelebriert

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