Freie Trauerredner immer gefragter. Im Gespräch mit Maike Rütten

Trauerrednerin Maike Rütten aus Grevenbroich mit ihren Kolleginnen von "Redseelig"
Trauerrednerin Maike Rütten aus Grevenbroich mit ihren Kolleginnen von "Redseelig"

 

Immer mehr Menschen wünschen sich für ihre Bestattung freie Trauerredner wie Maike Rütten. Den Betroffenen gibt es die Möglichkeit, mit einer persönlicheren Rede Abschied zu nehmen und auf letzte Wünsche sehr viel freier und individueller einzugehen.

Kirchliche Bestattungen unter 50 Prozent. Freie Trauerredner immer gefragter

Immer weniger Bestattungen in Deutschland werden katholisch oder evangelisch begleitet. Nach Statistiken der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Katholischen Bischofskonferenz (DBK) wurden 2020 fast die Hälfte der Verstorbenen in Deutschland ohne kirchliche Begleitung bestattet. Im Jahr 2019 betrug der Anteil kirchlicher Begräbnisse noch 52,2 Prozent, im Jahr 2000 noch 71,5 Prozent.

Trauerredner stehen für einen tiefgreifenden Wandel

Am rückläufigen Anteil kirchlicher Bestattungen verdeutlicht sich der tiefgreifende Wandel, dem das Bestattungswesen in den letzten Jahrzehnten unterliegt. Traditionen und religiöse Bräuche verlieren an Bedeutung. Dies zeigt sich unter anderem auch am Trend zur Feuerbestattung. Über 70 Prozent der Verstorbenen werden hierzulande mittlerweile eingeäschert, vor 30 Jahren betrug der Anteil weniger als ein Drittel.

Trauerredner besonders im Osten Deutschlands und in Großstädten gefragt

Aufgrund des hohen Anteils an Konfessionslosen in der Bevölkerung gibt es heute die meisten Trauerredner in Ostdeutschland und in den Ballungsräumen der Großstädte. Stark im Kommen sind Trauerfeiern mit ausgebildeten Trauerrednern. Sie übernehmen die sonst übliche Rolle der Geistlichen. Eine von ihnen ist Maike Rütten aus Grevenbroich, die seit 2018 als freie Trauerrednerin freiberuflich tätig ist und mittlerweile ein Team mit 3 weiteren Damen an ihrer Seite hat.

Nachgefragt bei Trauerrednerin Maike Rütten

Logo von Redseelig, einem Verbund von Trauerrednern
„Redseelig“ bietet freie Trauerreden an

NewFinance: Frau Rütten, wie kam es zu dem Wunsch, als Trauerrednerin zu arbeiten? 

Maike Rütten: Eigentlich war es zunächst weniger ein aktiver Wunsch, sondern es  ereilten mich zwei schwere Schicksalsschläge zu Beginn des Jahres 2018, innerhalb kürzester Zeit. Dadurch wurde mir bewusst, dass ich in meine damalige Tätigkeit nicht zurückkehren kann. Meine Mutter Astrid lebte zu dieser Zeit bereits seit 12 Jahren in den Niederlanden, wo Beisetzungen viel persönlicher und individueller gestaltet werden. Ich absolvierte im Mai 2018 ein Seminar als „Freie Trauerrednerin“ und ein Bekannter, der Bestatter ist, gab mir kurz darauf die ersten Aufträge. Das Wunderbare an dem Wechsel meiner Lebensaufgabe ist, dass ich bereits zwei meiner besten Freundinnen (Natalie und Saskia) mit dieser „Berufung“ angesteckt habe und wir drei (verstärkt durch meine Mutter Astrid) nun bereits ein Team von vier Rednerinnen sind, die bei “redseelig” mit Herz und Seele bei der Sache sind.

Der erste Einsatz als Trauerrednerin

NewFinance: Wie waren ihre ersten Male als Trauerrednerin? 

Maike Rütten: Sehr aufregend, weil mir etwas so Wertvolles anvertraut wurde. Einem Menschen, der von uns gehen musste, Lebewohl zu sagen, sein Leben und sein Wesen zu würdigen. Hierzu haben wir nur eine einzige Chance, den Abschied für die Angehörigen so persönlich und liebevoll wie möglich zu gestalten.

New Finance: Wie finden Sie Abstand zu dieser emotionalen Arbeit?

Maike Rütten: Dies habe ich bereits in meinen 10 Jahren als Sozialpädagogin im Jugendamt verinnerlicht. Beide Tätigkeiten sind sich irgendwie ähnlich und definitiv Herausforderungen, mit dem Leid und dem Schicksal, Menschen verschiedenster Alter und Herkunft und den unterschiedlichsten Gefühlen der Person gegenüber, konfrontiert zu werden. Das bedarf eines hohen Maßes an Selbstreflexion.

NewFinance: Was führt die Menschen genau zu Ihnen? 

Maike Rütten: Unser Hauptkunde ist in erster Linie der Bestatter. Dieser empfiehlt dann seine „Stammredner:innen“. Über die Jahre ist auch eine Mund zu Mund Propaganda entstanden, dass sogar Trauernde bei mir privat geklingelt haben um zu fragen, ob ich am Tag XY Zeit hätte, um Jemanden aus der Familie beizusetzen.

Auch Gläubige entscheiden sich zunehmend für freie Trauerredner

NewFinance: Wer kommt zu Ihnen? 

Maike Rütten: Tatsächlich denkt man immer noch, dass fast ausschließlich Menschen die nicht einer Religionsgemeinschaft angehören, einen freien Trauerredner wählen. Dem ist bei 75-90 % der Fälle nicht so: Wir setzen ebenso die junge Familienmutter, die an Krebs versterben musste und niemals getauft wurde, bei, wie auch den 92Jährigen gläubigen  Katholiken, dessen Familie sich jedoch mehr „Biografie“ in der Trauerrede und mehr Mitbestimmungsrecht für die Zeremonie wünscht.

NewFinance: Wie arbeiten Sie? 

Maike Rütten: Obwohl jeder Sterbefall individuell ist, läuft die Kontaktaufnahme und Beisetzung stets gleich ab. Man bekommt eine Anfrage vom Bestatter oder den trauernden Angehörigen selbst und führt ein Vorgespräch. Bestenfalls mit mehreren Bezugspersonen des Toten, in dem über Wünsche zu den Elementen der Trauerfeier und gezielten Fragen zur Biografie des Verstorbenen gesprochen wird. Auf dieser Grundlage fertigt man die Rede und hält sie am Tag der Beisetzung.

NewFinance: Wie nähern Sie sich der verstorbenen Person an? 

Maike Rütten: In den meisten Fällen kennt man diese Person nicht. Also bleibt, nachdem man die Daten zu Geburt, ggf. Hochzeit und Kinder und den Sterbetag durch den Bestatter bekommen hat, sich „ein Bild“ durch zahlreiche Informationen, Erinnerungen und Anekdoten zu formen.

Es gibt kein richtig oder falsch. Hauptsache, es passt zu dem Verstorbenen

NewFinance: Was würden Sie in Deutschland gerne bei dem Thema Beerdigung und Abschied ändern? 

Maike Rütten: Mehr Toleranz der Trauergemeinde. Mehr Offenheit für neue Elemente, wie zum Beispiel das Zitieren von selbst verfassten Textpassagen, selber ein Gedicht oder Ähnliches vortragen. Einfach das Erweitern von vermeintlich klassischen Bestandteilen.

Neue Formen der Trauer. Kaum jemand kennt die Möglichkeiten

NewFinance: Was empfehlen Sie Menschen, die eine Beerdigung organisieren müssen? 

Maike Rütten: Mutig sein, um dem geliebten Menschen die schönste, persönlichste und würdevollste Beisetzung zu ermöglichen. Und die anfallenden Aufgaben innerhalb der Familie zu verteilen. Musik raussuchen, Blumen bestellen oder auch den Spruch für die Trauerkarte festlegen.

NewFinance: Was machen Sie anders als Vertreter der Kirche?

Maike Rütten: Wir sind freier in der Gestaltung. Die Lesung ist beispielsweise fast immer eine weltlich neutrale Geschichte über Trauer, Verlust, Hoffnung, Dankbarkeit und Liebe. Ich ermutige die Angehörigen, Lieder bei der Beisetzung zu spielen, die die verstorbene Person geliebt hat und dabei nicht darauf zu achten, ob der Song angemessen für diesen Anlass erscheint.

NewFinance: Wie gelingt es ihrer Meinung nach am besten, Abschied zu nehmen? 

Maike Rütten: Indem man die Trauer zulässt, sich eingesteht, nicht perfekt funktionieren zu müssen. Zu hinterfragen, ob man wirklich stark genug ist um ein geliebtes Lied tatsächlich am Tag der Beisetzung zu hören. Und vor allem, sich durch Anekdoten zu erinnern. Diese festzuhalten, für sich und die Trauergäste und den Weg, der auf einen wartet. Ohne den nahestehenden Menschen.

Welchen wichtigen Tipp haben Sie als Trauerrednerin?

NewFinance: Wollen Sie uns verraten, was Menschen besser machen können, um jemanden ‚schön‘ zu verabschieden?

Maike Rütten: Sofern es möglich ist, zu Lebzeiten miteinander über die Gestaltung einer Beerdigung und Abschiedsfeier zu sprechen. So bleibt viel mehr Zeit, die man im Falle eines plötzlichen Todes nicht hat, da man sich um alles andere auch noch kümmern muss. 

NewFinance: Was ist Ihnen besonders nahe gegangen bzw. in Erinnerung geblieben? 

Maike Rütten: Keine Frage: Todesfälle die vom Jahrgang her einfach noch nicht „an der Reihe sind“ durch Unfälle, Erkrankungen oder leider auch Suizid. Vom Vorgespräch über die Beisetzung bis zum Telefonat im Nachgang ist absolute Selbstbeherrschung gefragt. Persönlich ist mir sehr nah gegangen, als meine bald 92jährige sehr gläubige Großmutter zu mir sagte „Ich bin schon fast traurig, dass ich gar nicht dabei sein werde, wenn du über mich so schöne Dinge erzählst!“. Was für ein Kompliment. Denn für mich stand nie zur Debatte, dass ich irgendwann, wenn sie einmal gehen muss, dort sprechen werde und gemeinsam mit dem Pfarrer die Rede gestalte. Generell rührt es uns als Team immer besonders, wenn ältere Menschen unserem Vortrag Anerkennung schenken. Das geht uns sehr nah und unter die Haut.

Mit welchen Kosten muss ich für eine freie Trauerrede rechnen?

NewFinance: Was muss ich für eine Trauerrede bei Ihnen und Ihren Kolleginnen bezahlen? 

Maike Rütten: Wir wohnen und arbeiten in einer sehr ländlichen Region. Unser Honorar liegt zwischen 300 und 450 Euro. Je nach Aufwand und Fahrtstrecke. Bei freien Rednern:innen in einer Großstadt liegt der Betrag beim Doppelten.

Frau Rütten, vielen Dank für das Gespräch!

Trauerrednerin Maike Rütten aus Grevenbroich mit ihren Kolleginnen von "Redseelig"
Trauerrednerin Maike Rütten (2.v.r.) aus Grevenbroich mit ihren Kolleginnen von „Redseelig“

Die Redseelig-Damen

Maike Rütten (36), studierte Sozialpädagogin, gründete 2018 das Unternehmen

Astrid Brouwer (63), ist gelernte Erzieherin und christliche Seelsorgerin, seit 2009 Fachfrau für Transkreation, Übersetzungen und Copywriting

Saskia Dederichs (39), gelernte Bankkauffrau, seit 2017 im Familienbetrieb als Exportsachbearbeiterin tätig. Eine „Arbeit fürs Herz“ hat sie in der Tätigkeit als Trauerrednerin gefunden

Natalie Kleine (36), angehende Sozialpädagogin, übernimmt die „Freien Trauungen“ und leitet inzwischen auch Beisetzungen

 

Titelbild: © Maike Rütten