Riskante Höhen: Industriekletterer, Spiderman mit Werkzeugkasten

Industriekletterer

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ach dem schweren Brand von Notre Dame am 15. April 2019 beginnt nun in akribischer Feinarbeit die Restauration. In 93 Metern Höhe weht die Pariser Sommerluft um die Nase. Wobei, es ist wohl eher keine sanfte Brise sondern ein böiger Wind, der das Seil unter der Hand vibrieren lässt. Die Füße ertasten den Grund, bevor ein neuer Tritt gesetzt wird, dann erfolgt der nächste Arbeitsschritt. Ein Anblick, bei dem Beobachtern schon vom Boden aus schwindlig werden kann. Für die zehn Industriekletterer, die derzeit am Wiederaufbau des altehrwürdigen Gemäuers beteiligt sind, ist es hingegen Alltag. Denn sie kommen zum Einsatz, wenn Leiter und Kran längst nicht mehr ausreichen und handwerkliches Geschick in schwindelerregenden Höhen gefragt ist.

Kein Gebäude zu hoch

Das Bauvorhaben ist für Seilzugtechniker, wie Industriekletterer auch genannt werden, eine besondere Herausforderung. Gebäudeteile können einstürzen, die Bleibelastung ist durch den Brand hoch und Steinschlag nicht ausgeschlossen. Das verlangt den Arbeitern viel Geduld und Fingerspitzengefühl in schwindelerregender Höhe ab. Und das meist ohne festen Boden unter den Füßen, sondern frei aus dem Sitz, nicht immer mit der Möglichkeit, sich festzuhalten.

Die Kletterer sind Allrounder der Höhe. Wenn sie nicht gerade Kirchtürme restaurieren, befestigen sie Blitzableiter an Hochhäusern, bestücken überdimensionale Plakatwände, reparieren Stadiendächer oder Windräder in bis zu 200 Metern Höhe – höher als der Berliner Fernsehturm, wobei auch an dessen Fassade mal ein Arbeitstag anfallen könnte.

Vom Hobby zum Beruf

Bei dem Berufsbild des Industriekletterers stehen handwerkliches Geschick und Sicherheit im Vordergrund, kein übertriebener Mut oder die Suche nach dem Adrenalinkick. Der Ausbildung als Industriekletterer liegt daher, laut ZEIT, in der Regel oft eine handwerkliche Ausbildung und das Hobbyklettern zugrunde, das eine körperliche Grundfitness voraussetzt. Die Ausbildung in Seilzugangs- und Positionierungstechnik erfolgt anschließend in drei Stufen und wir durch die FISAT, dem Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken e.V. zertifiziert. Level eins besteht hierbei aus einem fünftägigen Grundkurs, in dem die Teilnehmer den vertikalen Seilzug, Rettungstechniken sowie die gesetzlichen Bestimmungen erlernen. Gefolgt von Level drei, das die Teilnehmer zum Aufsichtsführenden Höhenarbeiter ausbildet. Abgeschlossen werden die jeweiligen Level sowohl mit einer theoretischen als auch einer praktischen Prüfung.

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No matter the Weather

Zweifelsohne ist das größte Berufsrisiko des Industriekletterers die Arbeitshöhe. Hinzu kommt das oft unbeständige Wetter. Im Sommer kann es schnell zu heiß werden, im Herbst sehr windig und im Winter frostig. Zur Minderung des Risikos ist neben der Ausbildung – die lehrt mit entsprechenden Situationen umzugehen – eine gute Ausrüstung im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig.

Und selbst wenn diese einen Sturz abfängt, droht ein Höhentrauma. Hierbei handelt es sich um einen Schockzustand, der nach einem Unfall eintreten kann. Der Kletterer hängt bewegungslos im Gurt, sodass Blut in die Beine fließt. Wird er oder sie nach der Rettung falsch gelagert, kann es zu einem tödlichen Kollaps kommen. Aufgrund der körperlichen Gesamtbelastung arbeiten Industriekletterer meist nicht länger als bis Mitte 40, Anfang 50, so FISAT Verbandschef gegenüber dem SPIEGEL. Durch das Berufsrisiko empfiehlt sich auch privat eine gute Vorsorge. Die DELA führt hierzu für Interessierte eine individuelle Risikoprüfung durch. Vermittler finden weitere Informationen hierzu auf der Website sowie in Webinaren der DELA.

Dennoch ein Traumjob

Trotz der Risiken ist und bleibt das Industrieklettern für viele ein Traumjob. Es ist eine besondere Arbeit, die Abwechslung bietet Und auch die Bezahlung ist nicht zu verachten. So liegt der durchschnittliche Tageslohn – ebenfalls laut ZEIT – bei etwa 300 Euro. Als Selbstständiger lässt sich hier noch mehr verdienen. Durch den Verstärkten Einsatz von Windenergie nimmt parallel die Auftragslage zu. Nicht zuletzt bringt der Job außerdem Anerkennung und Bewunderung mit sich. Und er ist mit Sicherheit nichts für jedermann.

Titelbild: ©yaroslav1986/stock.adobe.com

 

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