Dr. Jürgen Reiß: „Ein ungenaues Testament führt zu Streit“

Tipps vom Rechtsanwalt: Das Testament schreiben
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Wir schreiben das Jahr 1986: Eheleute aus Schleswig-Holstein verfassen auf einem einzelnen Blatt zwei Einzeltestamente. Später wird es zerrissen, sodass zwei Einzeltestamente vorliegen. Als der Ehemann stirbt, bricht innerhalb der Familie ein Streit aus. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein urteilte, dass die Testamente dennoch gültig seien. Der Fall zeigt: Beim Umgang mit dem Testament können viele Fehler und Unklarheiten aufkommen. Wir haben darum den Rechtsanwalt Dr. Jürgen Reiß, den Fachexperten im Erbrecht, befragt. Worauf gilt es zu achten, wenn Sie Ihr Testament schreiben?

Redaktion: Herr Reiss, wie muss ein Testament aussehen, um rechtskräftig zu sein?
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Dr. Jürgen Reiß

Dr. Jürgen Reiß: Zunächst gilt es hierbei zwischen verschiedenen Arten des „letzten Willens“ zu unterscheiden. Zur Errichtung eines eigenhändigen Testaments ist es erforderlich, dass der Erblasser (der Verstorbene, Anm. d. Red.) dieses vollständig und selbst, wie es der Name ja schon sagt, handschriftlich selbst verfasst und es am Ende mit vollständigem Vor- und Familiennamen unterzeichnet. Wichtig: Der Testierwillige muss „die Gestaltung der Schriftzüge selbst bestimmen und uneingeschränkte Tatherrschaft über sein Handeln“ haben. Testamentsfassungen von Dritten, aus der Schreibmaschine oder am Computer geschrieben, sind unwirksam. Das Testament sollte darüber hinaus die Angaben über den Ort der Errichtung sowie dem Zeitpunkt seiner Verfassung beinhalten. Der Inhalt steht dem Erblasser völlig frei. Sollten die nötigen Formerfordernisse nicht erfüllt sein, so ist das Testament ebenfalls unwirksam.

Redaktion: Gibt es für Ehepartner besondere Regelungen?

Dr. Jürgen Reiß: Ehepartner können sich dazu entscheiden, das Testament von einem der Partner schreiben und dann von beiden unterzeichnen zu lassen. Auch hier sind Ort und Datumsangaben wichtig. Beim Ehegattentestament besteht sowohl vor als auch insbesondere nach dem Tod eines Ehegatten eine Bindungswirkung (Veränderungen sind dann nicht mehr oder nur schwer möglich, Anm. d. Red.) beziehungsweise nur ein erschwertes Widerrufsrecht. Darum sollten Ehegatten vorab überlegen, ob diese Bindungswirkungen erwünscht sind. Eigenhändig erstellte Testamente und Ehegattentestamente sollten bei der Testamentsverwahrstelle des zuständigen Nachlassgerichts hinterlegt werden, damit sichergestellt ist, dass diese im Todesfall bekannt werden.

Redaktion: Und welche sind die anderen beiden Testamentsformen?

Dr. Jürgen Reiß: Nummer drei ist das notarielle Testament. Nomen est omen: Es muss vom Notar beurkundet werden. Dieser leitet es an das zuständige Nachlassgericht weiter. Ähnlich sieht es beim Erbvertrag aus, auch der funktioniert nur mit einem Notar. Im Rahmen eines Erbvertrags können bindende Regelungen auch mit anderen Partnern als dem Ehegatten oder dem eingetragenen Lebenspartner vereinbart werden. Für den Erbvertrag gelten stets eingeschränkte Widerrufsmöglichkeiten. Abschließend fallen für das Einschalten eines Notars natürlich zusätzliche Notarkosten an.

Redaktion: Was passiert, sollte jemand kein Testament schreiben und auch keinen Erbvertrag aufsetzen?

Dr. Jürgen Reiß: Dann tritt die gesetzliche Erbfolge in Kraft. Die Verwandten des Verstorbenen erben dann ausschließlich nach ihrem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser. So legt es § 1924 des Bürgerlichen Gesetzbuches fest.

„Ein einziger Erbe der ersten Ordnung reicht, um auch alle anderen Verwandten von der Erbfolge auszuschließen.“ – Dr. Jürgen Reiß

Redaktion: Wie sieht diese Reihenfolge denn aus?

Dr. Jürgen Reiß: Die Erben 1. Ordnung sind die in gerader Linie mit dem Erblasser verwandten Kinder und Enkelkinder. Dabei spielt es keine Rolle, ob es leibliche oder adoptierte Kinder sind. Sie schließen alle Verwandten nachfolgender Ordnungen von der gesetzlichen Erbfolge aus. Mehrere Kinder erhalten jeweils gleiche Anteile des Erbes. Wichtig dabei: Ein einziger Erbe der ersten Ordnung reicht, um auch alle anderen Verwandten von der Erbfolge auszuschließen.

Weiter geht es mit den Erben 2. Ordnung: Eltern und Geschwister des Erblassers. Darauf folgen die Erben 3. Ordnung, die Großeltern des Verstorbenen sowie deren Abkömmlinge. Erben 4. Ordnung sind seine Urgroßeltern sowie wiederum deren Abkömmlinge. Und zuletzt gelten die entfernteren Voreltern, also Ururgroßeltern sowie deren Abkömmlinge, als Erben 5. Ordnung.

Redaktion: Und die Ehegatten gehen leer aus?
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Dr. Jürgen Reiß

Dr. Jürgen Reiß: Hat der Verstorbene einen Ehegatten, so gilt auch für diesen das gesetzliche Erbrecht. Er erbt dann neben den Verwandten, allerdings bemisst sich sein Anteil danach, welche Verwandten zum Zuge kommen und in welchem Vermögensgüterstand die Ehegatten lebten. Sollte der Erblasser eine „letztwillige Verfügung“ verfasst haben, kann er gesetzliche Erben „enterben“. Ihnen verbleibt mit der Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils zumindest der Pflichtteil.

Redaktion: Gibt es typische Formfehler, die Leute machen, wenn sie ihr Testament schreiben?

Dr. Jürgen Reiß: In der Tat. Und sobald das passiert, kann es sein, dass trotz vorhandenem Testament die gesetzliche Erbfolge eintritt. Etwa dann, wenn das Testament für ungültig erklärt wird. Ein Fehler ist zum Beispiel, wenn ein Erblasser einem Erben nur einen einzelnen Vermögensgegenstand zuwendet und es dabei belässt. Das deutsche Erbrecht geht gemäß § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch grundsätzlich von der sogenannten Gesamtrechtsnachfolge aus. Das bedeutet, dass ein Erbe vollumfänglich in die Rechte- und Pflichtenstellung des Erblassers eintritt und dessen gesamtes Vermögen erbt. Sobald ein Erblasser nur einen Einzelnen als Erben benennt, wird dieser automatisch zum Erben des gesamten Nachlasses.

„Viele Menschen kennen den Unterschied zwischen „vererben“ und „vermachen“ nicht.“ – Dr. Jürgen Reiß

Redaktion: Wie kann ein Testamentsverfasser das umgehen?

Dr. Jürgen Reiß: Mit der Hilfe des Rechtsinstituts Vermächtnis. Es geht hier um die korrekte Formulierung. Viele Menschen kennen den Unterschied zwischen „vererben“ und „vermachen“ nicht – eine weitere beliebte Fehlerquelle im Testament. Während ein Erbberechtigter einen bestimmten Teilanspruch auf die Erbschaft erheben kann, wird einem Vermächtnisnehmer nur ein einzelner Nachlassgegenstand vermacht, ohne dass dadurch jedoch ein Erbanspruch entsteht. Im Unterschied zum Erbe muss ein Vermächtnis gegenüber dem rechtmäßigen Erben eingefordert werden. Sollte der Erblasser die Herausgabe des Vermachten nicht zeitlich festgelegt haben, kann diese nach dem Ermessen des Erben erfolgen.

Redaktion: Wo sollte man sein Testament nach dem Schreiben aufbewahren?

Dr. Jürgen Reiß: Beim privatschriftlichen Testament besteht immer die Gefahr, dass es nicht aufgefunden oder vernichtet wird. Der Verfasser kann sich dazu entscheiden, es amtlich aufbewahren zu lassen. Das geschieht beim örtlichen Nachlassgericht (am Amtsgericht). So schützt er sein Testament vor Fälschung, Beschädigung und Unterdrückung. Die amtliche Verwahrung leistet Gewähr dafür, dass das Nachlassgericht ein Testament unmittelbar nach dem Tod des Erblassers eröffnet.

Redaktion: Und wie lange ist mein Testament gültig? Kann ich es noch ändern, wenn ich es schon geschrieben habe?

Dr. Jürgen Reiß: Es ist gültig, solange der Verfasser es nicht widerruft. Ein Widerruf kann bei verwahrten Testamenten etwa durch eine Entnahme aus der amtlichen Verwahrung geschehen. Oder durch einfache Zerstörung. Auch das Verfassen eines neuen Testaments reicht aus. Es gilt hierbei immer das zeitlich jüngste Dokument. Und ja, es ist immer möglich, ein Testament zu ergänzen oder einzelne Passagen zu streichen. Allerdings ist es wichtig, dass Zusätze und Nachträge stets vom Erblasser eigenhändig verfasst und unterschrieben werden müssen. Eine „Oberschrift“ genügt nicht. Die Unterschrift muss unter dem Text stehen, um diesen so vor nachträglichen Ergänzungen und Zusätzen zu sichern. Ein handschriftliches Testament kann auch eine notarielle Version verändern oder widerrufen. Allerdings führen – unabhängig von den Formvorschriften – Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament in bestimmtem Umfang zu einer „Bindung“ des Erblassers. Diese kann er später nicht einfach so verändern.

Zuletzt sei gesagt, dass Testamente, die ohne anwaltliche Beratung verfasst werden, meiner Erfahrung nach trotzdem oftmals zu Streit unter den Erben führen. Das liegt vor allem an laienhaften Formulierungen, die zu unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten führen.

Redaktion: Herr Dr. Reiß, vielen Dank für diese spannenden und aufschlussreichen Einblicke!

Dr. Jürgen Reiß: Sehr gerne, hat mich gefreut!

Weitere Informationen zum Erbrecht sowie zur individuellen Beratung zur Testamentsgestaltung finden Interessierte auf der Website der Kanzlei REISS.

Titelbild: ©zakalinka/ stock.adobe.com, Beitragsbilder: © Kanzlei REISS

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